Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
Vom Netzwerk:
Ristorante Cooperativo war, sagte ein Schriftzug «Certo». Das «Coopi» gab es nicht mehr. Treffpunkt von Sozialdemokraten, italienischen Immigranten und linken Gruppen aller Couleur. Unzähligen Manifestationen, Vorträgen oder Lesungen hatte er im verrauchten Saal im ersten Stock beigewohnt. Wahlfeiern, wenn die Linke gewonnen hatte, oder Katzenjammer, im Rotwein ersäuft, wenn sie verloren.
    Er fragte eine Frau, die ihr Hündchen an der Leine über den Platz zu einem Baum führte. Sie wusste von nichts. Der Köter kauerte vor der Rabatte hin. Sie bückte sich, schob sich einen roten Plastikbeutel über die Hand und hob den Kot auf, verknotete den Beutel, hängte ihn an die Leine und ging über die Strasse zum «Certo». Robert sah aufs Smartphone, las Hermanns SMS . «12.30 Uhr Treffpunkt Coopi.» Dann ging er auch hinüber.
    Das Lokal war fast leer, er setzte sich ans Fenster, bestellte Kaffee. Einst hingen hier Bilder eines bekannten Malers, eines Tessiners oder Italieners. Der Name wollte ihm nicht mehr einfallen. Bilder von Arbeitern mit Nelken im Revers, von Tänzerinnen mit weissen Blusen und roten Röcken, sozialistische Romantik. Karl Marx hatte von der Wand heruntergeschaut, mit wallendem Bart, weisser Mähne und Blick in die ferne Zukunft einer klassenlosen Gesellschaft. In einem Roman von Vladimir Nabokov hatte Robert einmal den Satz unterstrichen: «Alles ist in Fluss, alles hängt am Zufall, und ganz umsonst waren die Anstrengungen jenes verdrossenen Bourgeois in karierten viktorianischen Hosen, der ‹Das Kapital› verfasste, eine Frucht von Schlaflosigkeit und Migräne.» Vom Marxismus hatte sich Robert längst losgesagt, der Zufall hatte sein Leben in andere Bahnen geleitet.
    Als die Kellnerin den Kaffee brachte, fragte er, ob das Lokal einst «Cooperativo» geheissen habe. Sie hob die Schultern. «Chef fragen.»
    Der Chef bequemte sich herbei. «Das ‹Coopi› ist vor ein paar Jahren an die St. Jakobstrasse gezogen. Die Stadt hat die Miete angehoben, das war den Genossen zu teuer.»
    Er setzte sich an den Tisch. Eigentlich sei es schade, doch der Markt müsse spielen. «Markt statt Marx», lachte er. «Man sagt, Lenin habe seine letzte Mahlzeit in Zürich im alten ‹Coopi› verspeist. Damals noch an der Militärstrasse. Mussolini, Brecht, Kanzler Schröder und Bundesrat Leuenberger … solche Kaliber verkehrten im ‹Coopi›.»
    «Und ich», sagte Robert. «Ich bin allerdings kein Kaliber.»
    «Woher kommen Sie denn? Sie klingen irgendwie amerikanisch. Stimmts?»
    «Ich bin Zürcher.»
    «Oft in den USA ? Ich kenne New York. Meine Schwester lebt in Brooklyn, Künstlerin, Video und so.»
    Robert legte seine Brieftasche auf den Tisch. «Dann will ich mal an die St. Jakobstrasse.»
    «Ist nur ein paar Schritte. Über die Badenerstrasse und dann erste rechts. Gleich neben der Credit Suisse.» Wieder lachte er. «Kommunisten und Kapitalisten aller Länder, vereinigt euch!» Er stand auf, rief der Kellnerin. Robert bezahlte.
    Draussen fegte ihm ein Windstoss Regentropfen ins Gesicht. Der Schirm! Er hatte ihn wohl im «Certo» liegen gelassen, mochte aber nicht mehr zurück. Durchs Fenster warf er einen Blick ins Lokal, sah vor dem dunklen Hintergrund sein Spiegelbild im Glas. Ein müder alter Mann.
    Auf dem Trottoir vor einem Hochhaus standen zwei Männer in grauen Mänteln und rauchten. Ein roter Schriftzug zog seinen Blick in die Höhe, «Unia», das «i» als «1» ausgebildet. Ihn schwindelte, als ob sich die Fassade in Zeitlupe über ihn neigte. Er taumelte gegen die Kette am Rand des Trottoirs, hielt sich daran fest. Die Strasse erschien ihm wie die Clinton Street in Iowa City, an der Ecke das Bankgebäude seines verstorbenen Schwiegervaters und in der Washington Street rechts das Java House. Dort sass die dicke Marilyn mit Freundinnen bei Kaffee und Kuchen und brüstete sich mit ihrem Professor, der jetzt in Zürich weile und an der berühmten University of Zurich einen bedeutenden Vortrag halte.
    «Gehts Ihnen nicht gut?», vernahm er eine Stimme. Es war die Frau mit dem Hündchen. Das rote Säcklein hing nicht mehr an der Leine.
    «I’m fine», murmelte er.
    «Sie wären beinahe auf die Strasse gestürzt.»
    «Da habe ich aber Glück gehabt.»
    «Gehts besser? Oder brauchen Sie eine Ambulanz?» Sie hatte ein Smartphone in der Hand.
    «Danke, alles bestens.»
    Das Hündchen tappte mit nassen Pfoten an seinen Beinen hoch. «Lass das, Bubi!» Die Frau riss ihren Liebling an der Leine

Weitere Kostenlose Bücher