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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
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laut ins Ohr.
    «Ich bin einmal aufgewacht und dachte, ich sei im Himmel. Ein Engel schwebte über mir und raunte: Herr Amberg. Ab heute kein Alkohol mehr. Sie haben die Menge erreicht, die der Herrgott für Sie vorgesehen hat.»
    «Wann war das?»
    «Berlin, nach dem Mauerfall. Ich lag im Koma auf der Intensivstation. Alkoholvergiftung.»
    «Mit mir hat der Liebe Gott offenbar noch Erbarmen.»
    Hermann hielt die Karte weit von sich, und so gelang es ihm, die Schrift zu entziffern. «Was hältst du von Scaloppine al Limone con Papardelle?»
    «Klingt nicht schlecht. Aber nun zur Sache.» Pippo dämpfte seine Stimme. «Tscharner darf nicht Stadtpräsident werden.»
    «Einverstanden. Aber was sollen wir tun? Zum ‹Tages-Anzeiger› gehen und von früher erzählen? Die lachen uns nur aus. Wenn sie uns überhaupt zuhören. Alte Achtundsechziger nimmt doch keiner mehr ernst.»
    «Wir schlagen zu. Heute abend auf dem Uetliberg.»
    «Ein Sit-in wie einst? Zu dritt? Ha ha. Toni vor laufender Kamera eine Torte an den Kopf schmeissen?» Hermann zog ein Päcklein Papiertaschentücher hervor, zupfte sich eines heraus und schnäuzte sich. «Ich bin ziemlich erkältet. Schnupfen.»
    «Wir lassen ihm die Hosen runter. In aller Öffentlichkeit.»
    «Damit er nackt kandidieren kann wie Achmed von Wartburg in den Achtzigern?»
    «Wir stellen ihn vor seinen Leuten und den Medien bloss.»
    «Achmed ist übrigens ein grosser Tanguero geworden. Ich hab ihn für die Rolle des Che vorgesehen in meinem Film.»
    «Meinetwegen.» Pippo strich sich über seine Bartstoppeln. «Ruf jetzt Robert an. Wir brauchen ihn.»
    «Zum Zuschlagen meinst du? Drei Greise gegen Toni und zweihundert Parteisoldaten, Bauern, Büezer, Bonzen und Bodyguards.»
    Pippo zog einen Zahnstocher aus dem Becher, riss das Papier auf, klemmte ihn zwischen die Zähne. Seine Hand zitterte.
    «Bist du krank?», fragte Hermann.
    Pippo kaute auf dem Holz herum, die Spitze wippte auf und ab. «Weisst du noch? Sara, damals.»
    «Sie war Roberts Mädchen.»
    «Toni hat sie flachgelegt. Nach unserer Aktion.»
    «So war das damals. Freie Liebe. Noch kein Aids, nix.»
    «Dann hat er sie unter den Genossen angeschwärzt.»
    «Eine alte Rechnung, denkst du?»
    «Darum brauchen wir Robert.»
    Pippo zerbrach den Zahnstocher, warf ihn ins leere Glas. Er verschränkte die Hände im Nacken. «Du hast recht, Hermi. Ich bin krank. Polyarthritis. Zerfrisst meine Gelenke. Und meine Gedanken.»
    Er brabbelte vor sich hin, sah an Hermann vorbei auf das Bild von Comensoli. Muskulöse Bauarbeiter mit gebräunter Haut, proletarische Helden von einst. Dann drehte er unvermittelt den Kopf zur Tür. Eine junge Frau war eingetreten, zog ihren Hut aus, schüttelte ihre Haare. Sie ging auf einen Tisch auf der andern Seite des Lokals zu, um den ein paar schwarz gekleidete Junge sassen. Ein Typ mit Irokesenschnitt und Piercings in der Nase wandte sich ihr zu, sie küsste ihn auf die Wange. Stühle wurden gerückt.
    Pippo hielt die Hand vor den Mund. «Das war doch die mit dem Suppenteller auf dem Kopf. Das Mädchen, das mit Robert zur Trauerfeier gekommen ist.»
    «Das ist ein afghanischer Pakol. Sie schwärmt wohl für die Taliban.»
    «Sie erinnert mich an Sara. Millionärstöchterlein, das von der Revolution träumt und sich von den Genossen ficken lässt.»
    Hermann lachte. «Die Genossen habens doch genossen, oder nicht?»
    «Halt den Latz! Bist du dabei, heute Abend?»
    «Also auf zum letzten Gefecht!» Hermann winkte dem Kellner, bestellte die Scaloppine und ein Mineral.
    «Für mich einen Dreier Barbera», sagte Pippo, «und sonst das Gleiche wie der Herr.»
    Der Kellner notierte.
    «Kennst du die Typen dort drüben?» Hermann deutete mit dem Kopf gegen den Tisch mit den Jungen.
    «Hausbesetzer. Heute Morgen hat man sie rausgeworfen. Suchen wohl ein neues Obdach.»
    «Und die Kleine mit den langen Haaren?»
    Der Kellner hob die Schultern. «Geh doch hin und frag sie.»
    Sie blieben sitzen. Hermann erzählte, dass er in Berlin eine Zeitlang in einem besetzten Haus gelebt habe. «Im Osten. Gleich nach der Wende. So eine Art Kommune.»
    «Und wenn die auf die Idee kommen, dein Haus zu besetzen?»
    «Dann verkaufe ich es einem Spekulanten und mache mich aus dem Staub.»
    Der Kellner brachte den Salat. Schweigend begannen sie zu essen.

    Robert sah sich auf dem Werdplatz um, einem gepflästerten Dreieck zwischen Strassen mit Sitzbänken und einem Brunnen. Auf der andern Seite der Strasse, wo früher das

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