Zopfi, Emil
Konglomerat, das ein russischer Oligarch dirigierte. Die Welt war nicht besser geworden, im Gegenteil, sie war verworrener, undurchschaubarer. Keine klaren Fronten mehr. Heute sass er vor einem Computerbildschirm made in China, hinter ihm zankten sich die beiden Alten um Wörter und Kommas und Ausrufezeichen, als wären nicht vierzig Jahre vergangen.
«Wir müssen den Fall von Martin Kunz in den Text reinbringen», warf Hermann ein. «Seit Monaten hetzt die Volkspartei gegen ihn. Tscharner ist mitverantwortlich für seinen Tod. Wenn nicht mehr …»
«Das können wir nicht beweisen. Bleiben wir bei der Sache. Tscharner war damals von der Bundespolizei in die linke Szene eingeschleust worden. Als Spitzel und Agent Provocateur. Deshalb kam er nach dem Anschlag ungeschoren davon. Die Bupo sympathisierte mit der Rechten, erinnert ihr euch? Das ist der Kern der Botschaft.»
«Also, diktier mal, du Leserbriefkönig!» Hermann hielt die Finger über die Tastatur, sah Pippo an.
«Pippo hat recht», liess sich Robert vernehmen. «Nur Facts, keine Vermutungen, wir machen uns sonst lächerlich. Du hast doch Beweise, dass Toni ein Spitzel war?»
«Wasserdicht, wenns drauf ankommt.»
«Es kommt drauf an. Die Presse wird sich darauf stürzen. Ex-Terrorist Tscharner! Klingt doch stark!»
«Das kommt aufs Transparent!» Hermann tippte, der Satz erschien in fetten Buchstaben oben auf dem Schirm. «Was denkt ihr?»
«Auf keinen Fall! Wir machen uns damit selber zu Terroristen. Wir wollen informieren und aufklären. Es darf nicht nach Abrechnung oder Rache klingen.»
So ging das nun schon fast eine Stunde, auf dem Schirm stand noch wenig bis nichts. Es war wie früher. Die Revolution scheiterte an Komma und Punkt und an der politisch korrekten Grammatik. Sara kämpfte immer dafür, dass auch Frauen im Text vorkamen, es gab ja auch Revolutionärinnen und Arbeiterinnen. Man belächelte sie. Stellt euch vor, Genossen, statt über den Weg zur Emanzipation der Arbeiterklasse hätten sich Marx und Engels über die gerechte Schreibweise für Proletarier und Kapitalisten gestritten.
Marx war doch ein Frauenverächter, er betrog seine Frau nach Strich und Faden, wusste Sara. Ihre Heldin war Marx’ Tochter Eleanor, eine echte Aktivistin der Sozialistischen Internationale, Frauenrechtlerin und Gewerkschaftsführerin. Hermann dachte später oft, vielleicht habe Sara ihrem Vorbild nachgelebt. Auch Eleanor Marx hatte Selbstmord begangen.
Hermann versuchte das Chaos in seinem Gehirn zu ordnen. Der Schnupfen verstopfte Nase und Ohren und machte Kopfweh. Er fuhr zusammen, als ihn Pippo anschrie: «Hör auf mit diesem verdammten Trommeln.»
«Entschuldigung. Ist so ein Tick von mir.» Hermann drückte seine Fingerspitzen gegeneinander. Beruhige die Nerven, hatte er mal gelesen.
«Ist ja schon gut, Hermi.»
Pippo und Robert hatten sich inzwischen geeinigt. Man würde im Flyer erwähnen, dass Martin Kunz mit Tscharner befreundet war, dass er einiges über seine Vergangenheit wusste. Das könnte einen Zusammenhang mit seinem Tod haben.
«Etwas Aktuelles muss rein», war Robert der Ansicht. «Sonst werden wir bloss als Fossile wahrgenommen, die ihre Niederlage nie verdaut haben.»
«Sind wir ja eigentlich.»
Hermann tippte, was ihm die beiden diktierten. Am Vortag waren sie ihm wie müde Greise vorgekommen, nun schienen sie zu neuem Leben erweckt. Diskutierten, schrien sich an, zankten und einigten sich, schlugen sich auf die Schultern. Sie waren wieder die Idealisten und Moralisten und Ideologen von einst, Kämpfer und Wirrköpfe mit vagen Visionen, aber abwegigem Mut, die nach Aktion lechzten. Es kam ihm vor, als seien sie bloss als alte Männer verkleidet, in Wirklichkeit aber jung und voll Feuer geblieben. Die Hoffnung, so ging ihm der Gemeinplatz durch den Kopf, die Hoffnung stirbt zuletzt. Er sagte den Satz vor sich hin. «Sollen wir das schreiben, sozusagen als Schlusspunkt?»
«Ja, warum nicht?» Die beiden Jungalten nickten.
Pippo drängte, er musste die Eintrittskarten abholen, die sein Sohn im Gartenhaus seiner Nachbarin hinterlegen wollte. Anschliessend würde man sich im Friesenberg bei der Station der Uetlibergbahn treffen. Hermann druckte das Pamphlet aus. Er hatte ein kleines Format gewählt, das sei handlicher, moderner als die Handtücher von einst. Der fette Titel lautete: «Ein Spitzel an die Spitze der Stadt? – niemals!»
Pippo gab zu bedenken, der Slogan sei zu nahe am rechtsbürgerlichen «Niemals vergessen»,
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