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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
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Wecker gebastelt. In einer Kiesgrube hatten sie das ausprobiert, ein schönes Feuerwerk gezündet.
    Hermann stiess Pippo an. «Da kommt der Professor.»
    Robert stand unter der Tür, breit und schwer. Mit gerötetem Gesicht und nassem Mantel glich er einem vollgesaugten Schwamm. Die Hosen waren bis zu den Knien verspritzt, die Schuhe voll Dreck.
    «Sieht aus, als hätte er in die Hosen gepisst.»
    Hermann stand auf, winkte. «Hallo Robi.»
    Robert sah kurz zu ihnen hin, dann ging er auf den Tisch zu, an dem die schwarz gekleideten Jungen sassen und das Mädchen mit dem Topfhut. Er stolperte und schwankte zwischen den Tischen durch, als habe er schon einiges intus. Bei der Jungen blieb er stehen, hielt sich an der Lehne ihres Stuhles fest. Sie redeten. Dann stand sie auf und küsste ihn auf die Wangen. Er drehte sich um und kam an ihren Tisch. «Entschuldigt. Ich war beim falschen ‹Coopi›.»
    «Am Werdplatz.» Hermann rückte einen Stuhl. «Es hat sich halt einiges verändert im Land. Aber setz dich. Jetzt bist du im richtigen Film.» Er deutete aufs Porträt von Marx an der Wand.
    Robert hängte seinen Mantel über die Stuhllehne und setzte sich schwer und umständlich. «Ich war im Sihlfeld. Ihr Grab ist nicht mehr da.»
    «Welches Grab? Meinst du Johanna Spyri?»
    Pippo fiel ein feuchter Fleck neben Roberts Hosenschlitz auf. Er wurde den Eindruck nicht los, der Mann habe eine schwache Blase, was ja nichts Ungewöhnliches war in dem Alter. Er roch nach Fisch und Pisse. Seine Stimme klang seltsam belegt, er sprach mit schwerer Zunge, doch betrunken war er nicht. War etwas in seinem Gehirn nicht in Ordnung, eine Streifung vielleicht? Man musste ihn im Auge behalten.
    «Sorry, wir haben schon gegessen», sagte Hermann. «Die Tagliatelle waren ausgezeichnet, die Scaloppine … na ja. Das Kalb war wohl schon etwas betagt. Aber bestell doch was, du siehst ziemlich mitgenommen aus.»
    Robert nickte. «Ich wollte ihr Grab besuchen, aber da war nichts mehr.»
    «Welches Grab?» Pippo stocherte wieder in den Zähnen.
    «Sara.»
    Sie schauten sich an. Dann sagte Hermann: «Es ist doch schon vierzig Jahre her.»
    Pippo sah, dass Robert Tränen über die Wangen liefen. Hermann legte eine Hand auf seine Schulter. Sie schwiegen.
    Pippo winkte dem Kellner. «Der Herr möchte bestellen. Und bitte noch einen Halben und ein Glas.»
    Dann unterhielten sie sich über ihren Plan. Karl Marx sah ihnen dabei über die Schultern zu mit seinem strengen väterlichen Blick.

    Hermanns winziges Wohnzimmer bot kaum Platz für die drei Männer. Robert beklagte sich über die stickige Luft, die nach Zigarettenrauch roch. Ein Segen, meinte er, dass in den USA fast nirgends mehr geraucht werden dürfe. Er studierte die Zettel, Kleinplakate, Notizen, Konzepte und Skizzen, mit denen die Wände tapeziert waren. Der Raum war auf einer Seite so niedrig, dass er sich bücken musste. Schliesslich lehnte er sich an den kleinen Herd der Kochnische, ein Pack Eistee in der Hand. Was der für Finger hat, ging Hermann durch den Kopf. Arbeiterhände, nicht die Hände eines Professors. An einem Finger steckte ein dicker Goldring. Pippo stand auf der andern Seite, er klammerte sich an ein Red Bull, stützte sich mit der freien Hand auf die Lehne von Hermanns Korbsessel. Sein Atem roch nach Alkohol und ungeputzten Zähnen. Hermann war beinahe froh um seinen Schnupfen. Manchmal fiel ein Tropfen aus der Nase auf die Tastatur des Computers.
    Sie stritten sich um Wörter und Kommas, um Ausrufezeichen und Schriftgrössen wie einst im Keller des Café Boy. Oben im Lokal starren die Genossen vom Arbeiterschachclub auf ihre Bretter, fechten den Klassenkampf mit Dame, Springer, Läufer und Bauern aus. Sie aber, die wahren Revolutionäre, bereiten den grossen Coup vor. Ein Aufschrei gegen den faschistischen Putsch in Chile und seine Helfershelfer, die CIA und die Konzerne der USA , die das Land ausplündern. An den Pranger mit der Waffenschmiede Moraves! Kommando Victor Jara! Sara tippt auf der IBM -Kugelkopfmaschine, übermalt Sätze mit Tippex, tippt weiter … Okay, die Schreibmaschine stammt vom Klassenfeind. Aber hat nicht Lenin schon gesagt, der Zweck heilige die Mittel?
    Nun, die Mittel hatten sich geändert, das Ziel war das gleiche: eine gerechte und freie Gesellschaft auf der Grundlage echter Demokratie. IBM -Kugelkopfmaschinen gab es nur noch im Museum, den Computerkonzern noch immer. Moraves dagegen war längst verschwunden, hatte sich aufgelöst in einem

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