Zores
Gehsteig hin. Die anderen vier starrten ebenso überrascht wie entsetzt auf ihren Kameraden. Cerny achtete hingegen nicht auf ihn, sondern rammte dem Mann, der ihm nun am nächsten war, das Knie in die Weichteile. Der schrie kurz auf und ging dann gleichfalls in die Knie. Cerny riss seine rechte Hand hoch. „Schleichts euch“, zischte er, „oder i faschier euch.“
Tatsächlich traten die drei schweigend den Rückzug an. Cerny war ihnen sichtlich nicht geheuer. „Du kommst aa no in unser Gassen!“, riefen sie, als sie genug Abstand zwischen sich und die Polizisten gebracht hatten. „Ja“, antwortete Cerny, „und dann stampf i euch aa no ein!“
Bronstein war sprachlos. So wütend hatte er Cerny noch nie erlebt. „Heast“, flüsterte er, nachdem er halbwegs zur Ruhe gekommen war, „so kenn ich dich ja gar ned.“
„G’wöhn dich besser nicht dran“, entgegnete Cerny, während er dem am Boden liegenden Nazi Handschellen anlegte, „allzu oft bring i des a ned z’samm.“
Mit ziemlich wackligen Beinen begab sich Bronstein erneut in das Wirtshaus und rief von dort das zuständige Kommissariat an. Als er wieder auf die Straße trat, sah er, wie Cerny den zweiten Nazi ebenfalls fesselte. Mangels weitererHandschellen mit einer Paketschnur, die er weiß Gott woher aus seinen Taschen zutage gefördert hatte. Trotz der aufkommenden Kälte rann ihm der Schweiß über die Stirn. Bronstein reichte ihm sein Sacktuch, und Cerny schenkte ihm einen dankbaren Blick. „Sonst verkühlst du dich noch“, fügte Bronstein hinzu und scharrte verlegen mit den Beinen. Ohne Cerny, das wusste er, hätte er in dieser Auseinandersetzung noch älter ausgesehen als er sich fühlte. Vielleicht wurde er wirklich zu alt für diesen Beruf. In etwas mehr als einem halben Jahr würde er 55 werden. Da war man wahrlich kein junger Held mehr. Vielleicht suchte er, wenn das alles ausgestanden war, um eine Versetzung an? Irgendeine ruhige Büroarbeit, wo er die restlichen Jahre bis zur Pensionierung ohne all diese Aufregungen auskam! Doch würde er dann nicht doch etwas vermissen?
Ach was, sein ganzes Leben vermisste er etwas! Da kam es darauf auch nicht mehr an. Er war auf dem besten Weg zum senilen Trottel! Bald würde er im Park sitzen, Tauben füttern und heimlich verliebten Paaren beim Techtelmechtel zusehen. Und wenig später würde er zu trenzen beginnen. Er würde inkontinent und mangels Familie in irgendein Altenheim abgeschoben werden. Dort würde er dann noch ein Weilchen vor sich hinvegetieren, ehe er endlich die Patschen streckte. Man würde ihm den Holzpyjama anlegen, die Pompfineberer würden ihn einscharren, und kurz danach würde kein Mensch mehr wissen, dass es ihn überhaupt gegeben hatte!
„Kommst du klar?“
Cerny nickte. Bronstein begab sich ein drittes Mal in das Gasthaus. „Einen doppelten Obstler. Schnell. Es pressiert.“ In einem Zug leerte Bronstein das Glas. Fast augenblicklich wurde ihm ein wenig schwummrig. Die Bilder in seinem Kopf begannen zu verblassen. „Noch einen!“ Endlich verschwandendie düsteren Zukunftsvisionen. Bronstein räusperte sich, legte den geforderten Betrag auf die Budel und begab sich wieder zu Cerny.
Der hatte mittlerweile Gesellschaft von ein paar Uniformierten erhalten, welche nach seiner kurzen Erklärung die beiden Krawallbrüder mitnahmen. Bronstein sah ihnen noch einen Moment nach, ehe er sich an den Oberstleutnant wandte. „Ich glaub zwar nicht mehr, dass die Spur mit den Kindern uns irgendwohin führen würde, aber anschauen will ich sie mir trotzdem. Wir treffen uns dann wie vereinbart am Revier.“ Abermals kam von Cerny ein Nicken.
Bronstein erwiderte dieses auf dieselbe Weise und wandte sich dann nach Westen in Richtung Gürtel. Als Erstes, so dachte er, steuerte er den Bennoplatz an, wobei er sich freilich nicht eingestand, die Witzmanns vor allem wegen der behaupteten Profession der Mutter als erste Familie gewählt zu haben.
Am Platz angekommen, fand er ohne Mühe sofort das richtige Haus. Davor spielten einige Kinder Tempelhüpfen. Sie waren überaus schäbig gekleidet und hatten für die Jahreszeit viel zu dünnes Gewand an. Wenigstens, so dachte Bronstein, wurde ihnen bei dieser Bewegung nicht kalt. Er blieb vor der Gruppe stehen und sah ihr eine Weile zu. Vor allem die drei Knaben interessierten ihn, denn es war gut möglich, dass zwei davon die kleinen Witzmanns waren.
„Servus, junger Mann“, wandte er sich an den Ältesten der drei, „verrätst du
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