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Zores

Zores

Titel: Zores Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Pittler
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Sie warat’n nu zum Haben?“
    Bronstein fühlte sich verunsichert. Tändelte die Alte jetzt mit ihm? Nun ja, alt! Hatte sie nicht am Morgen gesagt, sie sei 50? Dann wäre sie immerhin vier Jahre jünger als er. So gesehen mochte er für eine Frau im vorgerückten Alter durchaus attraktiv sein. Es hieß also, Vorsicht walten zu lassen.
    „Äh ja, aber …“
    „Das hab i ma denkt“, unterbrach ihn die Jedlicka. „Die besten Mannsbilder san immer schon vergeben. Nur so schiache Krampen wia Sie aner san, die gabat’s no. Es ist a Jammer.“
    Bronstein meinte, sich verhört zu haben. Doch die verächtliche Pose der Hausbesorgerin ließ keinen Zweifel zu. Er war eben zu einem alten Werkzeug degradiert worden. Mit einer üppigen Portion Bestimmtheit stellte er den Kaffee auf den Tisch und erhob sich. „Na, dann wird der alte Krampen einmal den Mörder vom Suchy dingfest machen, damit die alte Bissgurn in Ruhe schlafen kann.“
    Ohne die sprachlos zurückbleibende Jedlicka noch eines Blickes zu würdigen, verließ er deren Wohnung und trat ins Freie. Auf diese Demütigung hatte er sich ein ordentliches Mittagessen wahrlich verdient. Er wechselte die Straßenseite und begab sich ins Innere des dort angesiedelten Gasthauses. Gleich gegenüber der Schank fand er einen freien Tisch. Er ließ sich nieder und zündete sich eine „Donau“ an, während der Wirt an ihn herantrat.
    „Was darf’s sein, der Herr?“
    „A Viertel Weiß. Und was hamma zum Essen?“
    „A Stephaniebraten warat da. Mit Erdäpfelpüree und g’röste Zwiefel.“
    „Das klingt verlockend. Das nehm ich.“
    „Sehr wohl, der Herr.“
    Bronstein sah sich um eine Zeitung um. Er ignorierte den kaum versteckten „Völkischen Beobachter“ und griff stattdessen zur „Wiener Zeitung“. Die machte naturgemäß in marktschreierischer Form mit Schuschniggs Volksabstimmung auf, welche der Kanzler am Vortag in Innsbruck angekündigt hatte. Folgte man der Argumentation des Staatsorgans, dann diente das Plebiszit der Sicherung des inneren Friedens im Lande. Bronstein blies verächtlich aus. Innerer Frieden! Als ob die Nazis eine Niederlage einfach so hinnehmen würden. Viel wahrscheinlicher war es, dass sie auf ihre Abfuhr an den Urnen mit einer neuen Terrorwelle antworten würden. Wie schon in den letzten Jahren gingen dann wohl wieder Bahngleise und Fabrikseinrichtungen hoch, und wie immer würde die Staatspolizei dabei mehr als alt aussehen. So schmerzhaft die Erkenntnis auch war, aber Cerny hatte recht. Selbst wenn der Ständestaat sich noch einmal gegen Hitlers Horden durchsetzen würde, so gewann er damit bestenfalls eine Atempause.Solange diese Barbaren nicht im Reich stürzten, so lange würden sie auch Österreich im Würgegriff halten. Und diese Erkenntnis verlangte eigentlich nach einem Schnaps.
    Bronstein verkniff es sich allerdings, schon vor dem Essen Hochprozentiges zu sich zu nehmen, sondern bemühte sich stattdessen, dem Artikel weiter zu folgen. Anscheinend glaubte Schuschnigg wirklich, der Bevölkerung eine beeindruckende Bilanz seiner Kanzlerschaft vorlegen zu können. Von einer verdienstvollen Sozialpolitik war da die Rede, die das stolze Gebäude der sozialen Gesetzgebung in Österreich nicht nur erhalten, sondern vielmehr weiter ausgebaut habe. Von einer Wirtschaftspolitik, die sich erfolgreich dem Erhalt bestehender und der Schaffung neuer Arbeitsplätze verschrieben habe. Im Übrigen, so buhlte die Regierung unverhohlen um die Stimmen der Nazis, bedeute ein Bekenntnis zu einem unabhängigen Österreich keineswegs eine Absage an die deutsche Volks- und Kulturgemeinschaft. Gerade in einer Zeit wachsender internationaler Bedrohungen, wo es allerorten Spannungen und Gefahrenmomente gebe, dürfe der Einzelne nicht mehr abseits stehen, sondern müsse mitwirken am Aufbau des ewigen, unzerstörbaren Österreich.
    Bronstein nahm einen tiefen Schluck aus seinem Weinglas, welches der Wirt mittlerweile gebracht hatte. Ewig und unzerstörbar! Er wollte, er könnte sich ebenfalls zu einem derartigen Optimismus hinreißen lassen. Doch es wäre wohl besser gewesen, den Artikel gar nicht erst zu lesen, dann hätte er vielleicht mit etwas mehr Zuversicht der Abstimmung entgegensehen können. Nun aber kam ihm Cernys Einschätzung der Lage mit einem Mal mehr als realistisch vor.
    Dieser Eindruck verfestigte sich, nachdem Bronstein umgeblättert hatte. Auf Seite 2 befand sich ein geradezu hysterischerArtikel, dessen Verfasser behauptete, Innsbruck

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