Zores
mir, wie du heißt?“ Der hob den Kopf, blickte aber haarscharf an Bronstein vorbei. „Hermann“, sagte er mit einem merkwürdig schiefen Grinsen, „und ich gehe schon in die Schule. Aber nur am Vormittag.“
Bronstein bückte sich leicht nach vor, um besser mit dem Jungen sprechen zu können. Die anderen Kinder waren neugieriggeworden, ließen ihr Spiel Spiel sein und umrundeten den Oberst. „Servus, Hermann“, fuhr dieser fort, „kannst du mir sagen, wie du noch heißt? Witzmann vielleicht?“
Der Junge schüttelte den Kopf und wies auf eine kleine Rotznase zu seiner Linken. „Der da, der Hans, der heißt Witzmann. Ich heiße Meier“, erklärte er feierlich. Bronstein folgte dem ausgestreckten Zeigefinger und nahm Hans in Augenschein. Der Knirps mochte fünf oder sechs Jahre alt sein. Er war hochgradig unterernährt, ungewaschen und ungepflegt. Unter dem löchrigen Mantel, der ihm um einiges zu groß war, schien er nur ein altes Hemd zu tragen, das mutmaßlich einmal weiß gewesen war. Die grobe Stoffhose wies mehrere Risse und Löcher auf, und die Sohle seiner Schuhe war sichtlich im Begriff, sich vom Rest des Schuhwerks zu lösen. Der Knabe starrte förmlich vor Dreck und zog demonstrativ Rotz hoch, als er sich der Aufmerksamkeit bewusst wurde, die ihm zuteil geworden war.
„Du bist also der junge Witzmann“, begann Bronstein vorsichtig, „hast du auch einen Bruder?“
Der Kleine nickte.
„Ist der auch da?“
Der Kleine schüttelte den Kopf.
„Wo ist er denn?“
Der Kleine deutete nach oben.
„Aber sonst ist er bei dir?“
Wiederum ein Nicken.
„Sag, und gehst du mit deinem Bruder manchmal in die Skodagasse? Zum Herrn Suchy?“
Der Knabe wurde rot und begann arhythmisch zu keuchen. Selbst ein Ahnungsloser hätte sofort gemerkt, wie sehr sich das Kind bei der Nennung des Namens zu ängstigen begann.
„Na ja, wurscht“, lenkte Bronstein ein, „sind deine Eltern da?“
Hans hatte sich noch nicht wirklich gefangen, und so brauchte er eine ganze Weile, um ein weiteres Nicken zustande zu bringen. Bronstein bemühte sich um eine gütige Miene. Er kramte ein Zehngroschenstück aus seiner Tasche und hielt es Hans hin. „Da hast, weil du so brav warst“, sagte er und drückte es Hans in die Hand. Dann deutete er auf das Haustor? „Welcher Stock?“
„Hear’n S’, wos mochen Sie mit meine Gschrazn?“ Eine furienhaft schrille Stimme drang von hinten an sein Ohr. Er drehte sich um. Die alte Jedlicka hatte keinesfalls übertrieben. Die Witzmann sah wirklich zum Fürchten aus. Trotz der Länge des Rocks war deutlich zu erkennen, was für elefantenartige Stampfer die Frau hatte. Deren Stämmigkeit wurde nur noch von dem ausladenden Hinterteil übertroffen, das links und rechts weit über den Oberkörper hinausragte. Die Frau trug eine reichlich abgetragene Bluse, deren oberste Knöpfe offen waren. Ihr Dekolleté und ihr Hals waren von entstellenden Leberflecken übersät, während ihr nahezu kreisrundes und knallrotes Mondgesicht an einen überreifen Paradeiser erinnerte. Ihre Hände, die sie in die Hüften gestemmt hatte, wiesen etliche Narben und Krusten auf, und Bronstein verspürte ob dieses Anblicks unwillkürlich aufsteigenden Ekel. Er fingerte seine Kokarde aus der Hosentasche und hielt sie in die Höhe. „Frau Witzmann, wie ich vermute?“
Die Frau war erstaunt. „Woher wissen S’ des?“, fragte sie in einem bereits merklich konzilianteren Ton.
„Sie sind mir beschrieben worden“, entgegnete Bronstein lapidar. „Ich hätte ein paar Fragen an Sie.“
„Alles nur bösartige Verleumdungen“, antwortete sie blitzartig.
„Wie bitte?“
„Unterstellungen! Alles nur üble Nachrede! Ich bin eine ehrbare deutsche Frau.“
Endlich fiel der Groschen bei Bronstein. Die Witzmann dachte offenbar, er kam von der Sitte. „Nein, nein“, beeilte er sich daher um eine Klarstellung, „ich habe nur ein paar Fragen an Sie bezüglich eines Herrn Suchy …“
„A feiner Mensch, der Parteige…, der Herr Suchy. Was is mit ihm?“
„Tot ist er. Ermordet. Und ich …“
Die Witzmann schlug die Hände zusammen. „Jessasmarandanna! Wer mocht denn nochher so was?“ Noch ehe Bronstein etwas erwidern konnte, hatte die Witzmann die linke Hand bereits wieder auf ihrer Hüfte, während sie mit dem Zeigefinger der rechten durch die Luft wedelte. „Des war’n sicher die Juden, diese Blutsauger! Die haben den armen Partei…, den armen Herrn Suchy am G’wissen!“
„Wie kommen Sie denn
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