Zores
war’s ned.“
Bronstein verstand, dass der Mann sich bloß abzusichern versucht hatte. „Ach so. Nein. Ich komm wegen einer Auskunft.“
„Ana Auskunft?“
„Ja. Ihre Kinder. Die sind öfter beim Herrn Suchy, hab ich g’hört?“
„Naa.“
„Ah nicht?“
Der Mann schüttelte den Kopf. „War’n. Die war’n öfter beim Suchy. Jetzt nimmer.“
„Aha. Und wieso?“
„Weil er tot ist“, schnarrte der Mann, „kommen S’ mir ned blöd, Herr Inspektor. Das ganze Grätzel weiß das schon, Sie logischerweis’ aa. Also tamma do ned Versteck spü’n, gell.“
Bronstein spürte einen latent aggressiven Unterton in der Stimme des Mannes, vermochte aber nicht zu sagen, ob dieser brodelnde Zorn ihm persönlich galt oder ganz allgemein an die Welt gerichtet war. „Könnt ich mit Ihren Kindern sprechen? Die haben vielleicht etwas bemerkt, was uns bei der Aufklärung des Falles weiterbringen könnte.“
Der Mann erhob sich von seiner Kiste. „Na, dann kommen S’, Herr Inspektor.“ Bronstein folgte dem Kranewetter ins Innereder Werkstatt, die, wie sich nun herausstellte, der Familie als Wohnung diente. Wo einst wohl eine Hebebühne untergebracht gewesen war, stand nun ein gusseiserner Herd, an dem sich eine verhärmte Mittvierzigerin, in welcher Bronstein die Frau Kranewetter vermutete, zu schaffen machte. Kranewetter kümmerte sich weiter nicht um sie, sondern ging in den Nebenraum, der wohl einst als Büro gedient hatte. Nun befand sich hier das Schlafzimmer der vier Kranewetters. Tatsächlich saßen die beiden Knaben auf ihrem Bett und schienen in ein Murmelspiel vertieft zu sein. „Richard! Schurli!“, belferte der Vater. „Her da!“
Die Kinder ließen sofort alles fallen und nahmen vor dem Vater Aufstellung. Dieser sah sie einige Sekunden streng an und erklärte ihnen dann, sie müssten dem Herrn Inspektor alles sagen, was sie wüssten. Die beiden nickten zaghaft und stumm. Doch eine halbe Stunde später war er auch nicht klüger. Beide Kinder erwiesen sich als überaus maulfaul, und es war deutlich zu sehen, dass sie das Thema beunruhigte. Aber Bronstein hatte auch nicht damit gerechnet, dass ihm die Kinder weiterhelfen könnten. Stattdessen wandte er sich wieder Kranewetter zu. Der saß mittlerweile wieder auf seiner Kiste und rauchte eine weitere Zigarette. Bronstein tat es ihm nach und lehnte sich an den Türstock. Dabei ließ er seinen Blick auf Kranewetter ruhen. „Schlechte Zeiten, was?“
„Sie g’fall’n mir“, Kranewetter zupfte sich ein Tabakkrümel von der Lippe und spuckte dann demonstrativ aus. „I kunnt ned sog’n, dass die Zeiten je guat war’n. Aber so finster wia jetzt war’s überhaupt no nie. Wenn uns der Führer …, ’tschuldigen schon, aber was wahr is, is wahr, wenn uns der ned rettet, dann san wir alle verloren.“
Bronstein warf ärgerlich die Zigarette zu Boden. Er konnte es nicht mehr hören. Was sollte anders werden, wenn der Widerling erst einmal am Ruder war?
„Und wie soll der uns retten?“
„Na, wenn der kommt, dann hab ich wieder eine Arbeit. Und dann bin ich wieder wer. Und meine Kinder müssen ned in einem Hinterhofloch aufwachsen“, sprudelte es aus Kranewetter heraus.
„Was arbeiten Sie überhaupt, wenn ich fragen darf?“
„Schuster bin i …, war i.“
„Aha, und wenn der Hitler kommt, dann braucht ma in Wien auf einmal viel mehr Schuh’ – oder wie?“
„Na, des ned. Aber die jüdische Konkurrenz tät’s dann nimmer geben. Und so müssten die Leut’ wieder bei mir arbeiten lassen und ned bei dem windigen Flickschuster in der Feldgassen. … Und den seine Wohnung kriegert ich wahrscheinlich auch. Also wär alles wieder gut.“
„Für Sie“, sagte Bronstein mit Betonung auf dem zweiten Wort. Kranewetter sah ihn mit einer Mischung aus Scham und Wut an: „Ja eh“, meinte er dann, „wenn sich niemand um einen kümmert, dann muss man eben selber schauen, wo man bleibt. Des is ka Zeit für Sentimentalitäten …“
„Ist das das Konzept des Nationalsozialismus“, fragte Bronstein spöttisch nach, „man bringt die eine Hälfte um, damit die andere Hälfte leben kann?“
Kranewetter brauste auf: „Aber hören S’ doch auf mit so was. Das ist doch nur Feindpropaganda. Die geh’n einfach wieder dorthin zurück, wo s’ herkommen sind und aus. Und wir, wir sind wieder Herren im eigenen Haus. So schaut’s aus. In der Volksgemeinschaft hat jeder seinen Platz, und das Volksganze sorgt für ihn. So einfach ist das. Jetzt
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