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Zores

Zores

Titel: Zores Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Pittler
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Füßen.
    „Die Ausländer? Du bist ja aa ned grod a Hiesiger, oder?“
    Wie erwartet brauste Wagner sofort auf: „Heast, hoit di Pappn, Weana Oaschsau, Weanarische.“
    „Das reicht. Herr Wagner, Sie sind vorläufig festgenommen. Die Arme nach vor!“ Bronstein tat, als würde er die Handschellen hervorholen.
    Wagner wurde darob rasch nüchtern. „Na wouher denn? Dös weama ned brauchen … I red jo eh scho.“
    Doch was Herr Wagner zu erzählen wusste, war für Bronstein weder erfreulich noch nützlich. Er sei, berichtete Wagner, 1913 als 18-Jähriger vom heimatlichen Aichfeld nach Wien zum Armeedienst beordert worden und bald danach an dieFront gekommen. Dort habe er heroisch gekämpft, während Juden, Slawen, Ungarn und sonstige Bolschewisten den Untergang des Reiches betrieben hätten. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie sei er in Wien geblieben und habe schließlich 1919 eine Anstellung beim Simmeringer Waggonbau gefunden. Im Zuge der Wirtschaftskrise waren dort aber massiv Arbeitskräfte abgebaut worden, weshalb er, Wagner, nun seit Anfang 1931 ohne Arbeit und seit fünf Jahren ausgesteuert sei. Und pfuschen, so erklärte er schließlich unumwunden, könne er auch nicht, weil die ganzen Ostler, so Wagners Diktion, dieselbe Arbeit doppelt so schnell und doppelt so billig verrichteten. „De Trouttln, de bleidn. Glaubst, de mochatn amoul a Pause? Nix! De parabern in aner Tour. Wou wüllst denn dou mitholtn, frog i di!“
    Bronstein wollte keine wirtschaftspolitischen Fragen mehr erörtern, darum kam er ansatzlos auf Suchy zu sprechen. Hier freilich erlebte er eine Art Dejà-vu, denn Wagner sprach wie Kranewetter nur in den allerhöchsten Tönen von dem Goldfasan. „Und Sie meinen nicht, Herr Wagner, dass der Herr Suchy vielleicht ein bisserl … seltsam … zu den Kindern war?“
    Wagners Gesichtsausdruck signalisierte völlige Ratlosigkeit. Er hatte die Aussage von Bronsteins Satz schlicht nicht begriffen. „Na ja“, sagte Bronstein daher und unterstrich seine Worte mit einer Geste seiner rechten Hand, „dass er vielleicht ein bisserl …“
    „Doss er sich vergriffen hot on de Gschropp’n?“, verstand Wagner endlich, was Bronstein meinte, „der woa doch koa Ausländer ned“, erging er sich in kaum verhüllter Empörung.
    „Also nicht?“
    „Sicher ned. Der orme Herr Suchy. Jetzt derlebt der dös nimmer. Ewig schod.“ Wagner hob den Zeigefinger und sahBronstein direkt in die Augen: „Weul wenn der Hitler kemmt, daun is’ aus mit oll de Ausländer do und mit dem gaunzen Schas. Daun wird endlich ollas ondars und endlich ollas guat.“
    „Ja sicher“, erwiderte Bronstein mit einem resignativen Tonfall. „Wiederschau’n, Herr Wagner.“ Angewidert verließ er das Haus und ignorierte dabei auch die obszönen Gesten des Jungen, der sich hinter seinen Vater gestellt hatte. Jetzt, so befand er, brauchte er erst einmal einen Kaffee, um wieder klar denken zu können.
    Er betrat auf der Alser Straße direkt neben der Beethovenkirche ein Stehkaffee und bestellte sich eine Schale Gold, ehe er sich, während er auf das Heißgetränk wartete, eine Zigarette anzündete. Am Nebentisch unterhielten sich flüsternd zwei Arbeiter. An Bronsteins Ohr drangen nur einzelne Gesprächsfetzen.
    „… der Hitler lasst uns ned hängen … der kommt, wirst sehen!“
    „… aber die Volksabstimmung …“
    „Wirst sehen, die is wurscht. Zur Not gibt’s halt an Putsch. An erfolgreichen diesmal. Und dann san s’ weg, die ganzen Ostler. Wien wird judenrein, das sag ich dir.“
    Der zweite Arbeiter, der eben noch skeptisch und bedrückt gewirkt hatte, richtete sich auf. Um eine Nuance lauter sagte er: „Ma, des warat schee. Endlich weg mit de Gfraster. Juden, Zigeiner, Monarchisten, Sozialisten, Kommunisten, Christen, Hahnenschwanzler, … olle weg! Waun I kenntat, wia I wolltat, I schoffat des ollas o. Heit no.“
    Bronstein fühlte eine heftige Übelkeit in sich aufsteigen. In großen Schlucken trank er seinen Kaffee aus und flüchtete sodann eilends aus dem Lokal. Er passierte das Landesgericht, überquerte die Zweierlinie und hielt auf die Universität zu.Dort hielten die politischen Manifestationen an, und in Bronstein machte sich allmählich Panik breit. Immer schneller ging er, bis er am Ring schon fast ins Laufen kam. Beinahe ohne auf den Verkehr zu achten, wechselte er die Straßenseite und befand sich endlich vor dem Präsidium. Erst dort gelang es ihm, sein Tempo wieder etwas zu zügeln. Dennoch war er

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