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Zores

Zores

Titel: Zores Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Pittler
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mich dann noch unverblümt eine Hure, die selber schuld ist, wenn sie eine aufs Dach bekommt. … Sie sind ein feiner Herr, Sie können das vielleicht nicht wissen, weil … Was sind Sie überhaupt, wenn ich fragen darf?“
    Bronstein schien es geboten, jetzt nicht zuzugeben, dass er Polizist war. „Journalist“, sagte er daher knapp.
    „Na sehen Sie! Und warum unternehmen Sie dann nichts gegen all das? Schreiben Sie auch nur so Reportagen zur Befriedigung der Sensationslust saturierter Bürger? Sehen Sie nicht, was mit Österreich geschieht?“
    „Doch, doch, aber …“
    „Dieses Land wird vergewaltigt!“, fuhr die Verkäuferin unbeirrt fort, „ruchlose Schurken werden es verwüsten. Tausende Menschen wird man töten oder zumindest mit voller Absicht in den Selbstmord treiben. Und alles wird noch schrecklicher sein, als es in Deutschland ohnehin schon war.“
    Bronsteins zartes Hoffnungspflänzchen, eben erst von den Sozis begossen, drohte nun endgültig einzugehen. Die Angestellte aber hatte sich in Rage geredet: „Und so wird es weitergehen. Woche für Woche, Monat für Monat und Jahr für Jahr. Hunderttausenden wird man es unmöglich machen, genug zu verdienen, um sich auch nur ein Stück Brot kaufen zu können. Hunderttausende werden ins Exil getrieben werden, wo sie keiner aufnehmen wird, oder man wird sie einfach wie räudige Hunde im Rinnsal verhungern lassen. Die Nazis werden erst ruhen, wenn sie den Letzten von uns totgemacht haben. Es … ich … ach!“ Die Frau wollte weitersprechen, doch ihr versagte die Stimme. Über ihre Wangen liefen dicke Tränen, und aus ihrem Gesicht sprach eine derartige Hoffnungslosigkeit, dass Bronstein versucht war, augenblicklich in ihr Lamento einzufallen.
    „Sie glauben, es wird wirklich so schlimm?“, fragte er leise.
    Sie nickte nur. Dann kämpfte sie mit sich, um ihre Stimme wiederzuerlangen. „Am Sonntag werd ich 18, und ich hab solche Angst, meinen 19. Geburtstag nicht zu erleben. Die werden uns in ein Lager stecken, und dann werden sie uns in den Ostenverschicken, und dort werden s’ dann dafür sorgen, dass uns irgendein Mob einfach totschlägt. Und dann … werden s’ … meine Leiche … irgendwo verscharren … und niemand wird wissen, dass ich einmal g’lebt hab, dass ich … auch Träume g’habt hab, dass ich eine Familie hätt haben wollen …, einen Mann und … Kinder, dass ich einmal auf meine Enkerln aufpass, … dass ich …, kurz, dass ich ein Mensch aus Fleisch und Blut war.“
    Bronstein hatte erwartet, dass die Frau nun endgültig zusammenbrechen würde. Doch sie stand einfach nur da und blickte unverwandt an Bronstein vorbei ins Leere, was in Bronstein eine nicht geringe Verlegenheit auslöste. Gerne hätte er die Frau begütigt und ihr gesagt, dass sie die Dinge viel zu schwarz sähe und ohnehin alles wieder in Ordnung kommen würde. Doch er dachte ja irgendwie ähnlich. Auch er hatte entsetzliche Furcht vor der Zukunft. Wie gerne war er bereit, sich an jeden Strohhalm zu klammern, der ihm Rettung verhieß, und doch kam er nicht umhin, die Dinge einer realistischen Bewertung zu unterziehen. Und da sagte ihm die simple Perzeption, dass die junge Frau mehr als recht hatte. In seinem Gedächtnis tauchten die Bilder wieder auf, die er in einigen fortschrittlicheren Gazetten gesehen hatte: Nazis, die Menschen zwangen, auf Schaufenster „Kauft nicht bei Juden!“ zu schmieren, SA-Männer, die Fensterscheiben einschlugen oder ihre Mitbürger mit Paradeisern bewarfen. All das hatten sie in Österreich bislang nicht gewagt, da sie verboten waren. Nun aber würde sich das schlagartig ändern, und die heimischen Nazis würden bemüht sein, gegenüber ihren reichsdeutschen Gesinnungsgenossen den Rückstand an Unmenschlichkeit schnellstmöglich aufzuholen. Und ihm wurde bewusst, dass es ihm da noch vergleichsweise gut ging, da er nicht an einer so exponierten Stelle seine Tage zubringen musste wie die Verkäuferin, die für jedenerkennbar in einem Geschäft stand, das für sogenannte Arier ab sofort tabu war, womit sie automatisch zum Freiwild für braune Halbstarke wurde, ohne dass sie darauf hoffen durfte, irgendjemand würde ihr im Ernstfall beistehen.
    Ja, resümierte Bronstein desillusioniert. Alles, was man tun konnte, war, an der Wirklichkeit vorbei ins Nichts zu starren, denn genau damit hatte man exakt die eigene Zukunft vor Augen. Unwillkürlich wischte er sich eine Träne aus dem Augenwinkel und trat dabei verlegen von einem Bein auf

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