Zores
das andere. Es war die Frau, die sich als Erste fing.
„Aber deswegen sind Sie sicher nicht gekommen, der Herr, dass Sie sich die Klagen einer dummen Urschel anhören. Verzeihen Sie, bitte! Soll nicht wieder vorkommen. Was also darf es sein?“
Bronstein brauchte eine Weile, um seine Gedanken neu auszurichten. „Ich wollte eigentlich ein Hemd … oder zwei. Aber, sagen Sie, ist der Herr Duft vielleicht auch zugegen?“
Wie aufs Stichwort ging am hinteren Ende des Ladens eine Tür auf, und der Besitzer des Geschäfts betrat die Szene. Er wurde Bronsteins ansichtig, und ein seliges Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht. „Ja, was fir a Freid. Wenn ar dos nit der Herr Broinstajn sajn tut! Dem Bascheffer saj’s gedankt. Wos varschofft mir die Ehre?“
Auch Bronstein konnte Freude und Erleichterung nicht leugnen. Die Mundwinkel zogen sich bei ihm gleichfalls nach oben: „Begrüße Sie, lieber Herr Duft! Ich muss gleich einmal um Entschuldigung bitten, dass ich mich sträflicherweise so lange nicht bei Ihnen eingestellt habe. Ich weiß, das ist eigentlich unverzeihlich. Aber die Zeiten …, man kommt nie zu etwas, weil …“
Bronstein wusste nicht, wie er den Satz beenden sollte, doch Duft erlöste ihn umgehend mit einer begütigenden Geste.
„A giter Freind bleibt a giter Freind, afile wenn me seht ihm selten.“
Duft wurde der traurigen Miene seiner Verkäuferin gewahr. „Aber warum blicken Sie denn drein asou trouerig? Es is doch gor nischto kein Grund zu sein verzweifelt!“
Bronstein fühlte sich dazu berufen, sich für die Frau ins Mittel zu legen. „Aber wenn jetzt wirklich der Hitler kommt, dann sind gute Ezzes teuer …“
Auf Dufts Gesicht zeichnete sich ein schmales Lächeln ab: „Unser Volk hot ousgehalten schon ganz andere Prifungen. Wenn der Pharao hot in Ägypten die Kinder Jisroel ongemacht gehackte Zores, ist der Bascheffer uns allein beigeschtanen und hot uns geschickt Moischen, mir sollen mit ihm arousgejn fun der Gefangenschaft. Und wenn mir gedenken in jener Zeit, essen mir Mazzes, dos trikene Broit, Ihr weißt doch. Asou tun mir bis dem heitigen Tog. Und wenn der Homen, der hechster Beamter in der Regierung bei die alte Perser, hot gewollt vernichten die Jiden, hot er allein eingenimmen a Misse meschine, oufgehongen hot men ihm, un schoin. Und wenn mir gedenken in jener Zeit, essen mir die feine Homentaschen. Bleibt noch ein einzige Frage: wos wer’n mir essen noch dem, wenn der Hitler hot ouch eingenimmen a Misse meschine?“
„Ihr Optimismus in allen Ehren, Herr Duft, aber Sie sollten die Gefahr nicht auf die leichte Schulter nehmen. Denken Sie an die Nürnberger Gesetze, an die Bedrängnis …“
Duft hob abwehrend die Hand: „Farschtejt sich, es wird nischt gringer dos Leben. Ober, majn tajerer Herr Bronstein, es is doch asoi, as die Daitschen seinen a Kulturvolk. Nischt wie die Russen, wos vermachen unsere Synagogen und warfen unsere Rabbiner in die Tfisses, in die Gefengenischn. Sicher, me wert uns machen Zores, jo, ober zu dem sein mer zugewount.Mir wern ouch dos oushalten, weil der Bascheffer vergesst keinmol nit in sein Volk. Und wenn die Noit ist am gressten, dann werd er uns wieder ratewen.“
„Ich wollte, ich hätte dieses Gottvertrauen auch“, entfuhr es Bronstein.
„Wie hob ich gesogt mit Johren zurick, tajerer Herr Bronstein? Wer es kummt zurick zum Glouben von seine Tates, der werd nischt gehen in kein falschen Weg!“
„Wer sagt Ihnen denn, Herr Duft, dass ich überhaupt danach suche?“, nahm Bronstein Zuflucht in einer sarkastischen Replik. Zu seiner Verwunderung war Duft darüber keineswegs echauffiert. „Keiner muss es mir nit sogen, ich seh es doch. A ganz’ Leben hot Ihr gesucht, mein lieber Herr Bronstein, und es ist sicher, as Ihr wert es gefinden.“
Dabei blickte Duft so feierlich drein, dass sich auch Bronstein der Besonderheit des Moments nicht entziehen konnte. Er gestand sich ein, dass er Duft um seine im Glauben fußende Zuversicht beneidete. „Na ja, vielleicht haben Sie ja recht, werter Herr Duft. Fürs Erste würde es mir aber schon genügen, wenn wir ein passendes Hemd für mich fänden.“
„Dos wer’n mer. So sicher, wie ouch Ihr wert gefinden amol Glick und Hoffenung. Wie finster es soll nit oussehn die Nacht, werd noch heller strahlen der najer Tog.“
„Herr Duft, das haben Sie jetzt so schön feierlich gesagt, dass ich Ihnen gleich zwei Hemden abkaufe. Ein weißes und ein hellblaues.“
Dufts Augenbrauen zogen sich
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