Zores
Kriegsarchiv, wo er auch danach wieder gelandet war, und während des Kriegs im Pressehauptquartier. Schon damals hatte er es offenbar hervorragend verstanden, sich aus allen gefährlichen Situationen herauszuhalten und seine Karriere zielstrebig voranzutreiben. Daher war Glaise-Horstenau nun schon seit zwei Jahren Minister, während Suchy höchstens in den eigenen vier Wänden regiert hatte. Auch der ehemalige Justizminister Hueber, den man ebenfalls zum engeren Kreis der Nazis zählen musste, hatte im Gegensatz zu Suchy bereits seine Meriten. Es war also höchst unwahrscheinlich, dass Suchy von irgendjemandem als gefährlicher Rivale um die Macht wahrgenommen worden war. Vielmehr deutete einiges darauf hin, dass er ein Geheimnisträger gewesen war, der einem oder mehreren Nazis zu gefährlich schien.
Bronstein seufzte und dämpfte die Zigarette aus. Er konnte sich nur in Mutmaßungen ergehen. Klarheit würde er erst erhalten, wenn er mit den Naziführern Fraktur geredet hatte. Er bestellte ungeachtet der Tageszeit einen doppelten Rum und beschloss, nachdem er diesen in einem Zug geleert hatte, bei Minister Seyß-Inquart persönlich vorzusprechen. Er schritt an die Theke und erbat sich den Telefonapparat. Nachdem sichdas Fräulein vom Amt gemeldet hatte, nannte er die Anwaltskanzlei in der Albertgasse als die gewünschte Verbindung. Eine bellende Männerstimme meldete sich.
„Ja, guten Tag zu wünschen, ist der Herr Minister zugegen?“
„Der ist da, aber er ist in einer Besprechung, bei der er nicht gestört werden darf, Herr …“
„Ah, danke. Ich ruf wieder an.“
Noch ehe der Vorzimmerzerberus Bronsteins Namen und Begehr in Erfahrung bringen konnte, hatte dieser aufgelegt. Er bezahlte seine Konsumation und machte sich auf den Weg. Er legte die kurze Strecke bis zum Michaelerplatz zurück, ehe er durch das Burgtor zum Heldenplatz gelangte. An dessen Ende überquerte er den Ring und ging dann an den Museen, dem Epstein und dem Parlament vorbei, um schließlich in die Stadiongasse einzubiegen. Deren Verlauf folgte er auch noch jenseits der Zweierlinie, wo sie freilich bereits Josefstädter Straße hieß. Nach etwa zehn Minuten erreichte er die Lerchengasse, gleich danach die Tigergasse, um endlich in der Albertgasse zu stehen. Er wandte sich nach links und ging einige Häuser in Richtung Lerchenfelder Straße entlang, um so sein Ziel endgültig zu erreichen. Er betrat den wuchtigen Bau aus der Jahrhundertwende und begab sich ins erste Stockwerk, wo ein unscheinbares kleines Messingschild darauf hinwies, dass hier das Oberhaupt der österreichischen Nazis seine Kanzlei betrieb. Bronstein atmete noch einmal tief durch, dann läutete er an.
Durch die geschlossene Tür hörte er das Klackern genagelter Schuhe auf Parkettboden, gleich darauf wurde ihm aufgetan. Ein vorwitziger Jüngling mit einer blonden Haartolle, die ihm tief ins Gesicht hing, stand vor ihm.
„Wer sind Sie und was wollen Sie?“ Die Fragen kamen in rauem Kasernenhofton, wenngleich die Stimme des jungenMannes dafür ein wenig zu unmilitärisch klang. Bronstein hob seine Kokarde hoch. „Polizeidirektion Wien. Ich hätt einige Fragen an den Herrn Minister.“
„Der ist nicht da“, kam es barsch zurück.
„So? Vor zehn Minuten hat’s geheißen, er hätte da eine Besprechung.“
Das Gesicht des Jünglings verfinsterte sich. „Ah Sie waren das mit dem Anruf. Für so etwas hat der Herr Minister scho überhaupt koa Zeit ned. Also schieben S’ ab mit Ihrem Blechdings da.“
„Mein Herr, ein führendes Mitglied der Bewegung ist ermordet worden, wie wahrscheinlich schon bekannt sein dürfte, und da muss es ja wohl auch im Interesse des Herrn Ministers sein, dass dieser Fall rasch aufgeklärt und der Verantwortliche für diese Tat zur Rechenschaft gezogen wird.“
Der Pimpf kam ins Wanken. Nachdem seine Kiefer eine Weile krampfhaft vor sich hingemahlen hatten, rang er sich zu einer Entscheidung durch. „Gut, wen darf ich melden?“
„Oberst Bronstein von der Polizeidire…“
„Des is ned dei Ernst, oder?“ Der Nazi starrte Bronstein ungläubig an.
„Äh, was?“
„Sag des no amoi, wia du haaßt!“
„Oberst David Bron…“
„Ja bist du vollkommen narrisch worden, du Saujud, du elendiger?“ Der Mann sah gen Himmel. „I maan, I tram. A Itzig traut si da her. Des nenn i Chuzpe! Pass auf, du Moses: schleich di, aber gach aa no, sonst hast mehr als nur Zores. Hast mi!“
Die letzten Worte hatte der Mann in einer derartigen
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