Zores
nach oben: „Nu, un kenn dos sein a Zufall? Weiß und Blou, dos seinen die Farben von Jisroel. Ich sog Eich doch, Ihr sent ouf dem Weg …“
Bronstein ertappte sich bei der Frage, ob es klug sei, diesen Weg ausgerechnet jetzt einzuschlagen. Doch er zog es vor,diesen Gedanken nicht auszusprechen, denn er wollte den alten Herrn nicht vor den Kopf stoßen. Aber Weiß und Blau waren tatsächlich seine Lieblingsfarben. Konnte das Schicksal sein? Er atmete tief durch: „Dann seien Sie doch so gut und packen mir die beiden Hemden ein. Meine Größe kennen Sie ja.“ Duft ging zum entsprechenden Stapel und zog das Gewünschte daraus hervor. Er schickte sich an, sie Bronstein zur Prüfung vorzulegen, doch der wehrte ab: „Ich weiß, dass ich bei Ihnen keinen Tinnef kaufe, werter Herr Duft. Packen Sie sie nur ein. Was bin ich Ihnen schuldig?“
Duft nannte den Preis, während die Verkäuferin für Bronstein ein Päckchen zurechtmachte. Dieses nahm Bronstein entgegen, nachdem er die genannte Summe auf die Budel gelegt hatte. Für einen Augenblick sahen sich die drei Menschen in dem Geschäft schweigend an. „Masel tov“, sagte Bronstein endlich und wusste nicht, ob er damit den richtigen Ton getroffen hatte.
Dufts Augen blitzten kurz auf. „Weißt Ihr wos, Herr Bronstein, wenn Hitler is awek in der Geschichte, un er un alle Nazis hobn eingenimmen a Misse meschine, wern mir sich sehn in der Synagoge. Wos sogt Ihr?“
„Ja, das wäre eine Messe wert … also einen Gottesdienst … ein … na, Sie wissen schon.“ Bronstein zuckte verunsichert mit den Schultern.
„Und wieder a Schritt oufn Weg. Bis demolt – viel Glick und Segen.“
„Das wünsche ich Ihnen auch.“
Nachdenklich verließ er das Geschäft und hielt auf die Herrengasse zu. Er hatte sich einen Einspänner verdient, dachte er und sah zu, dass er ins „Herrenhof“ kam, wobei er sich dabei ertappte, wie er beständig nach links und rechts spähte, alswäre er ein Wild in freier Natur, das Obacht vor den Raubtieren geben müsse. Unwillkürlich wurde sein Schritt immer schneller und ging schließlich gar in leichten Trab über. Die letzten Meter rannte er beinahe, was seine Lunge mit einem nachhaltigen Keuchen quittierte. Erschöpft, aber auch erleichtert im Café angekommen, wurde ihm wie selbstverständlich die „Wiener Zeitung“ auf den Tisch gelegt und eine Schale Gold serviert. Er überlegte kurz, ob er auf seinem Einspänner beharren sollte, doch der Kellner war einfach der Macht der Gewohnheit gefolgt, sodass nichts dagegen sprach, die Dinge so zu belassen, wie sie waren. Bronstein zündete sich eine „Donau“ an und bemühte sich, Ordnung in den Fall zu bekommen.
War er zu Anfang davon ausgegangen, dass Suchy einem wütenden Familienvater zum Opfer gefallen war, so kam er nun mehr und mehr zu der Überzeugung, dass hier irgendeine Naziinterne Vendetta lief. Klar, ein aufgebrachter Vater, der dahintergekommen war, dass der Suchy den Sprössling … nun … widernatürlich belästigt hatte, der wäre niemals auf die Idee gekommen, Suchy auf eine solche Art zurückzulassen. Der hätte Suchy vermutlich zu Tode geprügelt oder eventuell auch erstochen. Doch keinesfalls hätte er Suchy nackt ausgezogen und auf dem Teppich drapiert. Gerade die Art, wie Suchy aufgefunden worden war, deutete darauf hin, dass irgendjemand großes Interesse daran hatte, dass er, Bronstein, glauben sollte, es gehe um Suchys perverse Vorlieben. Und dass dann wenig später sein Parteigenosse gleichfalls das Zeitliche segnete, das sprach ganz entschieden dafür, dass die Herrenmenschen untereinander die Abrechnung suchten. War nicht auch die SA seinerzeit eliminiert worden, als Röhm Hitler zu gefährlich geworden war? Und was Röhm vor fünf Jahren in Berlin gewesen war, das hätte Suchy jetzt in Wien werden können.
Damit freilich musste er jemandem im Weg stehen, die Frage war nur, wem. Frauenfeld schied augenscheinlich aus. Der war seit vier Jahren schon nicht mehr in Wien gewesen und hatte sich mittlerweile, wie Cerny in Erfahrung gebracht hatte, in Düsseldorf häuslich eingerichtet. Die Wiener Partei leitete seitdem Seyß-Inquart, der Suchy gegenüber dadurch im Vorteil war, dass er ja vor vier Wochen zum Innenminister ernannt worden war. Ähnliches galt für diesen mediokren General, diesen Glaise-Horstenau. Von wegen General! Der Mann hatte keine vierzehn Tage im Feld zugebracht! Von Anfang an war er bloß Etappenhengst gewesen, vor dem großen Krieg im
Weitere Kostenlose Bücher