Zorn der Meere
emporblickte, die hoch über ihr in den Masten blinkten.
Sie zog ihren Umhang enger um die Schultern. Bereits seit Wochen nagte eine bislang unbekannte Rastlosigkeit an ihr, die
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sie nachts nicht schlafen ließ und tagsüber schwer und bleiern machte.
Als Lucretia hinter sich Schritte vernahm, wandte sie sich um.
Aus der Dunkelheit löste sich die Gestalt des Kommandeurs.
»Frau van der Mylen«, murmelte er steif und versuchte, die Freude zu verbergen, die ihn durchströmte. »Was tut Ihr so spät noch hier?«
»Ich - ich bewundere die Sterne«, antwortete Lucretia verlegen.
»Sie sind heute sehr klar, nicht wahr?«, sagte Francois und ließ seine Blicke wachsam in die Runde gleiten.
Niemand war in der Nähe, um zu lauschen.
»Wir haben uns länger nicht unterhalten«, hub Francois vorsichtig an. Er bemühte sich, beiläufig zu klingen. »Gefällt es Euch noch an Bord meines Schiffes?« Angeber, schalt er sich, Einfaltspinsel. Kommt dir nichts Besseres in den Sinn?
»Das waren bisher die drei längsten Monate meines Lebens«, erwiderte Lucretia unbehaglich. »Ich weiß noch nicht, was schlimmer ist: das Essen oder die Langeweile.«
»Der Reiz des Abenteuers verflüchtigt sich rasch«, gab Francois zu. »Doch tröstet Euch, wir erreichen bald das Kap der Guten Hoffnung.« Er hielt kurz inne, ehe er sich erkundigte:
»Ich nehme jedoch an, Ihr könnt es kaum erwarten, endlich in Batavia anzukommen?«
Zum Teil ist das richtig, dachte Lucretia, doch andererseits harrt meiner dort lediglich eine andere Form der Langeweile.
»Wie ist es in Batavia?«, fragte sie ausweichend.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Francois. »Es soll wohl ähnlich wie in Indien sein. Das hieße also, sehr reizvoll aufgrund der Fremdartigkeiten. Vielleicht ist die Luft für uns nicht immer ganz gesund...« Seine Stimme verebbte.
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Lucretia betrachtete ihn besorgt. Dann ergriff sie das Wort:
»Der Skipper behauptet, dort sei es heiß wie in der Hölle, und die meisten Menschen stürben im ersten Jahr.«
Ein feinfühliger Mensch, unser Skipper, dachte Francois. »Er übertreibt«, beschwichtigte er sie. »Wie Ihr seht, lebe ich noch.«
»Ich glaube, ich werde Holland vermissen.«
»Es wird Dinge geben, die Euch versöhnen. Ich nehme an, Langeweile werdet Ihr dort nicht verspüren.«
»Zieht es Euch deshalb zurück?«, fragte Lucretia.
»Nein«, bekannte Francois, »ich fürchte, ich werde von meinem Ehrgeiz getrieben.«
»Seit wann fürchtet ein Mann denn seinen Ehrgeiz?«, wollte Lucretia wissen.
»Nun, zuweilen stellt sich der Ehrgeiz als harter Meister heraus.«
»Gibt es denn keine Frau, die Euch mit Eurem Schicksal versöhnt?«
»Mein Leben gehört der Gesellschaft. Ich habe wohl zu spät erkannt, was mir dabei entgeht. Das war mein Fehler, und nun erleide ich den Verlust.«
»Es gibt Männer, die sich ihren Pflichten widmen und dennoch eine Ehefrau haben.«
»Vielleicht bin ich nicht der Mann, der sich allein aus Gottesfurcht und um der Nachkommen willen vermählt.«»Und welcher wäre Euer Grund?«
»Die Liebe«, erwiderte Francois. Er schwieg für einen Moment, ehe er hinzufügte: »Ihr mögt das als seltsam empfinden, doch ich halte sie für den einzigen Grund.«
»Seid Ihr ihr noch nie begegnet?«
»Nein.«
Lucretia stellte fest, dass seine Antwort ihr nicht gefiel.
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»Und Ihr?«, hörte sie Francois sagen. »Habt Ihr aus Liebe geheiratet?«
So bittend darf er mich dabei nicht anschauen, dachte sie mit klopfendem Herzen. Sie senkte die Lider. »Manchmal nimmt der Mensch einfach das, was er bekommt.«
»Bezieht Ihr das auf Euch?«, fragte Francois erregt. »Ist es Euch auf diese Weise ergangen?« Als Lucretia schwieg, fasste er das als Zustimmung auf.
»Lucretia«, hub er nun sehr entschlossen an. »Ihr habt mich von den Frauenpalästen reden hören, wo die indischen Fürsten sich die schönsten Frauen ihres Landes halten. Gelegentlich wurde es mir gestattet, sie zu bewundern. Doch ganz gleich, wie bezaubernd ich sie fand, keine von ihnen könnte sich jemals mit Euch messen.«
Lucretia starrte in die dunklen Fluten zu ihren Füßen. Auf diese Weise hat Baudouin nie mit mir gesprochen, dachte sie.
Wie traurig, dass es nun viel zu spät für die Werbung eines anderen ist. Dabei hätte ich jemanden heiraten können, der das, was ich bin, zu schätzen weiß. Lucretia spürte, dass ihr schwindelte, so dass sie Halt suchend nach der Reling griff.
»Ich habe mir abermals eine zu große
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