Zorn der Meere
das«, erwiderte Lucretia scharf. Sie wurde rot. Er hatte sie verwirrt.
»Ihr müsst mich entschuldigen«, murmelte sie hastig. »Es ist spät. Gute Nacht.«
»Gute Nacht, Madame«, hallte es spöttisch hinter Lucretia her, während sie zu ihrer Kabine eilte.
Ich hätte damals mit Baudouin reisen sollen, dachte sie unterwegs. Warum musste ich mich auch an seiner statt um die Familiengeschäfte kümmern? Sie seufzte bei dem Gedanken an die mangelnde Geldkenntnis ihres Mannes. Baudouin entstammte einer vornehmen Familie, in der man die Dukaten nicht einzunehmen, sondern lediglich auszugeben verstand.
Nun hatte sie ihre nächste Pflicht in Angriff genommen und begab sich nach Java an seine Seite. Sie wünschte jedoch, sie würde ihrer Wiederbegegnung freudiger entgegensehen.
Tryntgen hatte nicht bemerkt, dass Sussie sich davongestohlen hatte. Gewiss wäre sie außer sich, wenn sie mir auf die Schliche käme, dachte Sussie. Sie tat also besser daran, sich zu sputen.
Sussie klopfte an die Tür und hörte eine Stimme, die ihr Einlass gewährte.
Jeronimus warf ihr einen kurzen Blick zu und bedeutete ihr mit einem Nicken, sich zu setzen. Danach widmete er sich erneut seiner Lektüre.
Sussie blickte sich neugierig um. Die Kajüte war winzig, besaß jedoch den Vorzug, dass Jeronimus sie mit niemandem
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teilen musste, was an Bord der Batavia ein Luxus war.
Außerdem hatte ihr Besitzer sie wohnlich gemacht. Die Wände waren hübsch mit Behängen" geschmückt, von der Decke hing eine kunstvoll geschmiedete Schiffslampe herab, es gab einen fein geschnitzten Schreibtisch und einen weichen Sessel mit Samtbezug. Hier lässt es sich leben, dachte Sussie - abgesehen von dem eigenartigen Geruch, der die Luft durchtränkt. Ihre Augen wanderten zu einem Regal, auf dem sich kleine Fläschchen befanden. Geheime Tränke aus Kräutern, vermutete sie. Ihr Blick glitt über die aufgestapelten Bücherberge hinweg.
Alles so, wie es sich für einen studierten Mann und Apotheker gehört, entschied Sussie.
Jeronimus klappte sein Buch mit einem Knall zu, und Sussie zuckte zusammen. Auf seinem Gesicht malte sich ein kleines Lächeln ab.
»Mit wem habe ich das Vergnügen?«, erkundigte er sich.
»Ich bin Sussie Frederix«, entgegnete sie ein wenig eingeschüchtert.
»Was kann ich für Euch tun?« Jeronimus senkte die Stimme.
»Ihr wollt mir doch hoffentlich kein Geheimnis preisgeben und zugeben, dass Ihr in Schwierigkeiten seid?«
»Nein, Herr Unterkaufmann«, stammelte Sussie errötend.
»Nein, das ist es nicht.«
Unterdessen wurde Sussies Blick von einem Messingmörser angezogen, auf dem Worte eingraviert waren.
Jeronimus war ihrem Blick gefolgt. »Amor vincit omnia«, las er. »Wisst Ihr, was das bedeutet?«
Sussie schüttelte den Kopf.
»Das ist Lateinisch. Es bedeutet, dass die Liebe alles besiegt.
Was meint Ihr dazu? Glaubt Ihr, dass dem so ist?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Sussie leise.
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»Natürlich nicht. Welch eine dumme Frage! So, und nun teilt mir bitte Euer Anliegen mit.«
Unter seinem eindringlichen Blick senkte Sussie die Lider. Ihr war, als würde er bereits alles über sie wissen.
»Sucht Ihr nicht doch nach einem Mittelchen, das Eure Leibesfrucht abtötet?«, hörte sie Jeronimus flüstern.
Sussie schüttelte den Kopf noch heftiger als zuvor. Was hatte er da gesagt? Warum starrte er sie derart eigentümlich an? Sie hatte doch nichts Unrechtes vor - sie wollte lediglich einen bestimmten Mann zum Ehemann haben. »Es gibt jemanden...
einen Soldaten... den ich mag.«
»Oh, Ihr sucht nach einem Liebestrank?« Jeronimus lächelte genüsslich.
»Ja, bitte.« Sussie nickte.
»Aber Ihr seid doch noch ein halbes Kind!«
»Ich bin sechzehn Jahre alt«, log Sussie. Beinahe jedenfalls, fügte sie im Stillen hinzu.
»Was? Schon sechzehn Jahre!«, wiederholte Jeronimus amüsiert. »Und dann auch noch so ansehnlich! Glaubt mir, in ein, zwei Jahren werdet Ihr für das, was Ihr erreichen wollt, keinen Trank mehr nötig haben.«
Sussie hielt Jeronimus einen silbernen Reichstaler entgege n.
»Das ist alles, was ich habe«, murmelte sie.
Jeronimus schien für einen Moment zu zögern. Dann ergriff er die Münze und ließ sie in seine Tasche gleiten. »Ich will sehen, was sich machen lässt«, verabschiedete er Sussie.
Wie schön und sanft das Meer sein kann, dachte Lucretia, während sie dem leisen Knarzen der Taue lauschte, das sanfte Wiegen des Schiffes unter sich spürte und zu den fremden Sternen
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