Zorn: Thriller (German Edition)
auf mysteriöse Weise zusammengewachsenen Schreibtischen auf.
»Besprechung«, sagte Balodis und wies vage mit der Hand in eine Richtung.
»Kathedrale?«, fragte Beyer.
»Nein«, antwortete Hershey. »Whiteboard.«
Kowalewski betrachtete die einsilbigen Damen und ertappte sich dabei, über Gewohnheiten zu sinnieren. Wie schnell sich doch Spitznamen und gewisse Ausdrücke einschliffen. Die »Kathedrale« war ein großer Saal für Zusammenkünfte mit einer Kassettendecke und Bildschirmen von allen siebenundzwanzig Mitgliedsstaaten der EU. Das »Whiteboard« hingegen war eine eher informelle Besprechungsecke am Rand der Bürolandschaft mit einem Touchscreen, der das althergebrachte Whiteboard ersetzte.
Am Schreibtisch daneben saß Paul Hjelm, der Chef der Opcop-Gruppe, tief versunken in einen Stapel Unterlagen. Neben ihm war der stellvertretende Chef, der zierlich gebaute Grieche Angelos Sifakis, damit beschäftigt, den Computer hochzufahren. Der Bildschirm des Whiteboards flimmerte merkwürdig, während Sifakis mindestens ebenso merkwürdig das Gesicht verzog und dann in Richtung Festplatte hinter dem Schreibtisch abtauchte.
Zwei Personen hatten bereits ihre Plätze eingenommen, als sich Kowalewski, Beyer, Hershey und Balodis auf ihre Stühle setzten. Es waren die Französin Corine Bouhaddi und der Spanier Felipe Navarro. Arto Söderstedt kam als Letzter in die Ecke der Bürolandschaft geschlendert, nachdem er sich gerade aus der Umarmung einer groß gewachsenen blonden Frau gelöst hatte. Marek Kowalewski betrachtete sie respektvoll. Sie war eine der nationalen Repräsentanten, die immer ein wenig am Rand der Kerngruppe standen. Er versuchte sich an ihren Namen zu erinnern. Sie war doch Schwedin, oder? Mit einem sehr ausgefallenen Namen. Schließlich kam er drauf: Svenhagen.
Sara Svenhagen.
Eine der knapp ein Dutzend nationalen Repräsentanten war also anwesend.
Angelos Sifakis tauchte hinter dem Schreibtisch wieder auf, betrachtete den Bildschirm, der inzwischen nicht mehr flimmerte, und sagte in seiner zurückhaltenden Art: »Also dann, Meeting der Kerngruppe.«
Paul Hjelm blickte von seinen Unterlagen auf und nickte Sifakis zu, der ein Foto von einem älteren Mann mit traurigen Augen anklickte, das auf dem elektronischen Whiteboard im Großformat erschien.
Hjelm räusperte sich und sagte: »Das hier ist Professor Udo Massicotte, Arzt für plastische Chirurgie von Weltklasse. Mit ihm werden wir uns in dieser Woche befassen, denn er hat sich am vergangenen Samstag erhängt. Er war sechsundsechzig Jahre alt und in einem mit Alarmanlagen gesicherten Bereich tätig, er hat nämlich für ein geheimes EU-Projekt gearbeitet, das sich mit der Identifikation von Terroristen nach chiroplastischen Operationen befasst. Man gewährt uns für diesen Fall für ein paar Tage Einblick in das Projekt, wenn wir innerhalb dieses Zeitfensters nichts finden, wird es geschlossen. Aus diesem Grund befassen wir uns in erster Linie intensiv mit seiner Person anstatt mit unmittelbaren Verdachtsmomenten. Finden wir binnen ein paar Tagen nichts, lassen wir die Sache fallen. Man hat uns die Abstimmung mit der NATO zugesichert, aber wenn die Amerikaner erst einmal involviert sind, wollen sie wahrscheinlich ihre eigenen Ermittlungen durchziehen.«
»Also bestehen eventuell Verbindungen zum Terrorismus?«, fragte Miriam Hershey, die eine Vergangenheit beim MI5 in England hatte.
»Möglicherweise«, bestätigte Hjelm.
»Und womit hat er sich genau befasst?«, fragte Kowalewski.
»Das Ganze ist zwar auf unserem Tisch gelandet, weil es sich um ein EU-Projekt handelt, aber wir haben noch zu wenig Informationen. Das Projekt wird in Straßburg durchgeführt, ursprünglich waren fünf Forscher und Sicherheitsexperten mit unterschiedlicher Fachrichtung involviert. Wir haben gerade grünes Licht dafür erhalten, dass zwei von euch hinfahren und mit den vier verbleibenden Personen sprechen. Das Projekt wurde von Udo Massicotte geleitet, die restlichen Namen stehen hier.«
Sifakis tippte etwas in seinen Computer, bis vier Namen offensichtlich unterschiedlicher Nationalitäten erschienen.
»Ist denn das Problem mit chiroplastisch operierten Terroristen gravierend?«, fragte Jutta Beyer.
»Ich habe etwas darüber gelesen«, merkte Laima Balodis an. »Die Sicherheitsdienste haben generell Schwierigkeiten damit, vor allem arabische Terroristen zu identifizieren, und offenbar nutzen das immer mehr von ihnen aus und lassen sich chiroplastisch
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