Zorn: Thriller (German Edition)
oder Andeutungen?«
»Nichts.«
»War der Pub ein langfristig geplanter Treffpunkt?«
»Ja, in der Tat. Vrapi hat uns direkt hingeführt. Wir waren etwas überrascht. Es war nämlich kein typisches Terrain für ihn. Er wählt normalerweise etwas Hochklassigeres aus, wenn man das so sagen kann. Wir sind eher an Lokale aus dem Guide Michelin gewöhnt. Wo es meist verdammt kleine Portionen gibt.«
»Die Möglichkeit der Strafminderung rinnt Ihnen allmählich durch die Finger«, ermahnte ihn Kerstin Holm und stand auf. »Sie bekommen noch eine letzte Chance. Geben Sie uns etwas.«
Plötzlich schärfte sich Nukri Targamadzes Blick. »Was wollen Sie denn am liebsten haben?«, fragte er.
»Den Grund dafür, weshalb Isli Vrapi in Stockholm war.«
Targamadze verzog das Gesicht und sagte: »Okay, und am zweitliebsten?«
»Die Identität des Schützen«, antwortete Kerstin Holm.
Jetzt wirkte Targamadze nahezu kindlich zufrieden. »Sie glauben also nicht, dass dieser Dorftrottel es getan hat? Der, den ich umgenietet habe?«
»Vermutlich nicht. Erzählen Sie.«
»Sie haben doch meine Brieftasche beschlagnahmt, oder?«
»Ja, alle Ihre persönlichen Habseligkeiten. Und?«
»Sie gehört nicht mir.«
Holm und Chavez tauschten erneut Blicke aus. Holm setzte sich wieder.
»Okay ...?«, sagte sie.
»Ich habe seine Jacke zerrissen. Die Innentasche.«
»Erklären Sie uns das.«
»Er war unheimlich schnell und hat erstaunlich zielgerichtet geschossen. Ich hab meine rechte Hand in die Innentasche meines Jacketts geschoben, um meine Pistole zu ziehen, und mit der linken fest nach seiner Jacke gegriffen. Dann kam dieser verdammte Karir und hat den Weg blockiert. Ich bin gestürzt und hab gespürt, wie der Stoff gerissen ist. Dann sind sie rausgelaufen. Ich hinterher. Draußen auf der Straße hab ich den Karir wiedererkannt, ihm in den Rücken geschossen und bin weggerannt. Ich wusste ja, dass Isli tot war, hab schließlich seinen halben Kopf wegfliegen sehen. In der linken Hand hatte ich die Brieftasche aus der zerrissenen Jacke. Hab mich schnell aus dem Staub gemacht.«
»Die Brieftasche des Schützen?«, fragte Chavez skeptisch.
»Das dürfte doch einige Jahre wert sein, oder?«, fragte Nukri Targamadze und lehnte sich zurück.
Eiskalt, taub und stumm
Den Haag, 19. Mai
Die Tage nach dem Hubschrauberflug nach Capraia waren von intensiven Nachforschungen und vertieften Ermittlungen geprägt. So pflegt man zu sagen, wenn man keine Erfolge verbuchen kann. Kleinere Fortschritte machten sie zwar, doch was das große Ganze betraf, war das Ergebnis bislang ziemlich entmutigend.
Das musste Paul Hjelm gezwungenermaßen feststellen, als er die Informationen aus Stockholm erhielt.
Der Waffenhändler Isli Vrapi hatte sich demnach wegen eines »Projekts mit geringem Risiko« in Stockholm aufgehalten, wo er sich mit jemandem in einer Kneipe für geringe Ansprüche verabredet hatte, in der er von einem Vollidioten mit geringem Intellekt ermordet worden war, der offenbar Johnny Råglind hieß.
Während er die Informationen über Johnny Råglind überflog, dachte er darüber nach, ob Råglind wirklich ein schwedischer Nachname war. Das war er nicht.
Dabei musste er es bewenden lassen. Seine Untergebenen warteten bereits seit zehn Minuten in der Kathedrale auf ihn.
Alle waren schon vollzählig versammelt, als er eintrat. Er setzte sich an seinen Katheder und begann sofort: »Der Waffenhändler Isli Vrapi war offenbar nicht wegen eines großen Deals in Stockholm, und auch sein Mörder ist kein besonders dicker Fisch. Er stammt aus einer Einwandererfamilie, mit dem angenommenen Nachnamen Råglind. Johnny Råglind. Seine Eltern sind ehrenhafte Arbeiter aus der Türkei, während der Sohn der Polizei von Kindesbeinen an bekannt ist. Ich habe diese Informationen gerade aus Stockholm erhalten und sie dementsprechend noch nicht näher überprüfen können, aber offenbar fiel er durch Drogenvergehen und diverse ekelhafte Gewaltverbrechen auf. Im Strafregister sind keine Schusswaffen erwähnt, aber er ist seit einem halben Jahr Mitglied in einem Schießsportverein, wo er ausgezeichnete Ergebnisse erzielt. Was möglicherweise das Trefferbild im Pub erklärt.«
»Aber nicht die Frage beantwortet, warum er geschossen hat«, merkte Jutta Beyer an.
»In der Tat«, pflichtete Hjelm ihr bei. »Als man den Freundeskreis des getöteten Taisir Karir näher untersuchte, stieß man auf mehrere Kleinkriminelle, aber auf keinen inneren Kreis. Die
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