Zorn: Thriller (German Edition)
Alkoholiker waren. Das Gleiche hatte auch für ihren Kumpel Lars-Erik Dahlberg alias Lasse Dahlis gegolten, der vor einer Woche zu seinem großen und endgültigen Erstaunen in einem heruntergekommenen Pub im Götgatsbacken mit einem Messer erstochen worden war. Erst jetzt war es möglich gewesen, die beiden Kumpane zu lokalisieren, die allem Anschein nach die Kneipe schon verlassen hatten, noch ehe Lasse Dahlis’ Leiche zu Boden ging. Danach hatten sie sich in Luft aufgelöst. Erst jetzt war es möglich gewesen, das Duo in einem Vernehmungsraum des Polizeigebäudes auf Kungsholmen in Stockholm zu verhören. So wahnsinnig viel hatte man aus ihnen allerdings bisher nicht herausbekommen.
»Haben Sie jetzt von Andi oder von Agge gesprochen?«, fragte Jorge Chavez zum vierten Mal.
»Die Frage ist«, antwortete Roger Lind mit heller Stimme, »ob wir nun über Andi Analphabet oder Andi Amphetamin sprechen. Aber das haben wir bereits versucht zu erklären.«
»Ja, dass es um Agge Anorektiker geht«, warf Olof Karlsson ein. »Der allerdings unter einer Krankheit litt, wegen der er die Welt auf dem Kopf gesehen hat. Er hat die Zeitung immer verkehrt herum gelesen.«
»Weil er Anorektiker war?«, fragte Chavez und begann mit den Gedanken abzuschweifen, hin zu gewissen Urlaubserinnerungen. Er dachte daran, wie seine Kinder Isabel und Miguel in ihrem kleinen Zimmer im Haus an der Amalfiküste schliefen und er ins Schlafzimmer ging, wo seine Frau Sara Svenhagen stand und gerade dabei war, sich mit einer dezenten, aber eleganten Geste des letzten Kleidungsstückes zu entledigen; eine etwas theatralische Geste der Einsamkeit. Das letzte Kleidungsstück war ein äußerst minimalistischer Slip.
»Lasse war in den USA und hat dort gejobbt«, sagte Olof Karlsson wie ein Maschinengewehr. »Er hatte echt was drauf. Und jetzt ist er tot. Ich fass es nicht.«
»Lasse war also clever?«, fragte Chavez, während er versuchte, sich das Urlaubsszenario weiter auszumalen, das sich jedoch wie in einer Endlosschleife nur immer wieder von Neuem abspielte. Ein ums andere Mal zog Sara ihren Slip aus, bis der Zauber verloren ging. Chavez schlug mit der Faust auf den Tisch und rief: »Zum Teufel noch mal, wie genau lief es ab, als Ihr Kompagnon Lasse Dahlis ermordet wurde?«
»Wir haben es nicht gesehen«, antwortete Roger Lind mit seiner Mädchenstimme. »Er ist umgefallen, und wir sind abgehauen.«
»Ihm wurde von hinten ein Messer ins Herz gerammt«, erklärte Chavez nun wieder ruhiger. »Das dürfte ein ziemlicher Kraftaufwand gewesen sein. Sie müssen doch irgendetwas bemerkt haben.«
»Leider nein«, antwortete Olof Karlsson, dem es gelang, selbst diese beiden kurzen Worte wie eine Gewehrsalve auszustoßen.
In dem Augenblick klingelte ein Handy. Unüberhörbar. Wessen es jedoch war, blieb im ersten Moment unklar, bis es eine Person von ihnen regelrecht durchzuckte. Später würde Chavez aufgehen, dass das Zucken mit dem Prozess des Aufwachens zu tun gehabt hatte. Kerstin Holm zuckte auf ihrem Vernehmungsstuhl zusammen, stieß mit der linken Schulter gegen die kahle Wand, zog ihr Handy hervor und meldete sich, den Apparat verkehrt herum in der Hand.
»Genauso war es mit Agge«, erklärte Olof Karlsson und zeigte mit dem Finger auf das Handy.
Kerstin Holm drehte ihr Telefon um und schwieg. Sie schwieg eine knappe Minute. Roger Lind und Olof Karlsson warfen einander immer hoffnungsvollere Blicke zu. Voraussichtlich würden sie bald wieder auf freiem Fuß sein.
Schließlich beendete sie das Gespräch. Sie nahm Augenkontakt zu Jorge Chavez auf, der sofort begriff, dass das Telefonat nicht von Europol, sondern von der guten alten Institution Interpol gekommen war, da es um den Bürger eines Landes außerhalb der EU ging.
Dieser Bürger hatte das Glück gehabt, einen Schusswechsel in einem Pub im Götgatsbacken unbeschadet zu überstehen, während sein Chef und zwei seiner Kollegen erschossen wurden. Seine DNA befand sich auf einem Bierglas in der Kneipe, und er hieß Nukri Targamadze und kam aus Tiflis, der Hauptstadt Georgiens.
Diese Identifizierung hätte nicht viel weitergeholfen, wenn nicht in den darauffolgenden Minuten seine Schwester weitere Informationen beigesteuert hätte. Die Schwester wohnte in Stockholm, genauer gesagt in Johanneshov, und besaß einen Schrebergarten im Tantolund auf Södermalm in Stockholm. Eine gute Stunde nach ihrer Aussage ließen die Ermittler der Stockholmer Polizei mitteilen, dass sie eine gewisse
Weitere Kostenlose Bücher