Zorn: Thriller (German Edition)
später vor der Küste von Livorno treibend aufgefunden wurde. Der Taxifahrer hatte nicht viel zu sagen, außer dass Roman Vacek groß gewesen sei, kräftig gebaut und einsilbig. Er wirkte angespannt, gab aber reichlich Trinkgeld. Der Hotelier erinnerte sich nur äußerst vage an den Mann, der sich im Hotel ein Zimmer nahm und vom zehnten bis zum fünfzehnten Mai für fünf Nächte im Voraus bezahlte. Er war relativ klein, hatte volles schwarzes Haar und einen schwarzen Schnauzbart. Auch die anderen Gäste auf der Insel haben Beobachtungen gemacht. Demnach verließ der Mann mit dem Schnauzbart sein Hotelzimmer, Zitat, ›entweder am Abend des vierzehnten oder am frühen Morgen des fünfzehnten Mai‹. Möglicherweise hat er nachts ein Boot gestohlen und ist damit nach Livorno gefahren, wo er es sich selbst überließ. Die Kriminaltechniker haben das Hotelzimmer durchsucht und, nächstes Zitat, ›ungewöhnlich viele DNA-Spuren‹ gefunden, was eigentlich nur darauf hindeutet, dass das Reinigungspersonal im Hotel nicht allzu gründlich ist. Außerdem fand man noch etwas anderes, ich zitiere erneut, ›sowohl lange als auch kurze schwarze Haare aus Kunststoff‹. Was bedeuten könnte, dass das volle schwarze Haar und der Schnauzbart künstlich waren.«
»Und jetzt finde ich, dass wir Jutta eine Pause gönnen sollten«, meinte Söderstedt.
Alle warteten darauf, dass er fortfahren würde, doch er schwieg.
»Aha?«, fragte Hjelm leicht irritiert. »Hattest du vor, selbst zu sprechen?«
»Ich?«, fragte Söderstedt mindestens ebenso irritiert zurück. »Ich gebe keine Zusammenfassungen.«
»Natürlich nicht«, bemerkte Hjelm. »Du kommst nur mit genialen kurzen Pässen.«
»Genau«, pflichtete Söderstedt ihm friedfertig bei.
»Corine?«, fragte Hjelm.
Bouhaddi antwortete überraschenderweise: »Fünf Nächte im Hotelzimmer.«
»Wie bitte?«, rief Hjelm aus.
»Wenn der Mann mit dem Schnauzbart der Mörder war, verbrachte er vor dem Mord fünf Nächte im Hotel. Aus welchem Grund? Um fünf Tage lang den Mord an Roman Vacek vorzubereiten? Und sich der Neugier der Leute auszusetzen, um dann etwas ungeschickt ein Motorboot zu stehlen und damit eine nicht unerhebliche Strecke übers Meer zurückzulegen?«
»Da ist etwas dran«, pflichtete Söderstedt ihr bei. »Fünf Tage sind viel. Wenn er nicht die Gelegenheit genutzt hat, um weitere Morde vorzubereiten.«
»Wozu er mindestens einen Internetzugang benötigt hätte«, warf Bouhaddi ein. »Den es im Hotel aber nicht gab. Was allerdings nicht bedeuten muss, dass er keine mobile Verbindung ins Netz hatte. Was sich herausfinden lassen müsste.«
»Kümmerst du dich darum?«, fragte Hjelm.
»Klar«, antwortete Bouhaddi beflissen.
»In Anbetracht dieser fünf Nächte«, merkte Söderstedt an, »würde es mich nicht überraschen, wenn in Kürze eine weitere Leiche im Mittelmeerraum auftauchte. Der Mann ist ein Serienmörder. Er zieht jedenfalls das gesamte Register eines Serienmörders. Er saß in seinem Hotelzimmer und hat Pläne geschmiedet.«
»Möchtest du damit sagen, dass du nicht an eine Verbindung zwischen Capraia, Massicotte und der Schießerei in der Kneipe in Stockholm glaubst?«, fragte Hjelm.
»Mir fällt es jedenfalls ziemlich schwer, die Fälle zusammenzubringen«, gab Söderstedt zu.
»Apropos Serienmörderattribute, bist du mit dem Zitat, das in der Wand auf Capraia versteckt war, eigentlich weitergekommen?«
»Ich denke schon«, antwortete Söderstedt, dessen Miene sich etwas aufhellte. »Es war nicht ganz einfach, da die Kommasetzung unklar ist, und der Text dubiose Rechtschreibfehler enthält. Aber es scheint sich um ein Zitat aus dem Grafen von Monte Christo von Alexandre Dumas dem Älteren zu handeln.«
»Interessant«, meinte Paul Hjelm. »Und besteht ein Zusammenhang?«
»So weit bin ich noch nicht«, gab Söderstedt zu. »Der Text stammt aus Kapitel zwanzig des Grafen von Monte Christo und handelt vom Friedhof von Château d’If, also dem Meer. Der Graf hat beschlossen, aus dem Gefängnis zu fliehen, aber da von dort niemand lebendig davonkommt, muss er den Platz eines Toten einnehmen. Im Augenblick kann ich allerdings nicht mehr als das sagen, denn ich habe es gerade erst gefunden.«
»Na, das ist ja großartig«, meinte Hjelm hoffnungsvoll. »Dann kommen wir jetzt zum Ergebnis der Obduktion von Vacek. Corine?«
»Ja, da gibt es einiges Interessantes zu berichten«, antwortete Bouhaddi.
»Über das mögliche Gift?«, fragte er.
»Zum
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