Zorn: Thriller (German Edition)
Beispiel. Aber lass mich mit der möglichen Linkshändigkeit beginnen. Die Einstichwunde deutet nämlich eher darauf hin, dass der Mörder Rechtshänder ist. Oder zumindest seine rechte Hand benutzt hat, um dem Opfer das Messer unter die Rippen zu stoßen. Was darauf schließen lässt, dass er die Pferdespritze in der linken Hand gehalten haben muss. Dies lässt allerdings den Einstich der Spritze in der linken Schulter des Opfers unlogisch erscheinen. Es wäre eine sehr ungewöhnliche, schwer auszuführende Bewegung.«
»Wenn wir voraussetzen, dass dem Opfer beide Einstiche gleichzeitig beigebracht wurden«, merkte Jutta Beyer an.
»Genau«, stimmte Bouhaddi ihr zu, ein Leuchten der Erkenntnis in den Augen. »Aber das ist mittlerweile erwiesen. Roman Vacek starb schlicht und einfach an zwei tödlichen Angriffen gleichzeitig. Sein Herz schlug noch, als das Messer in seinen Körper drang, aber es schlug bereits langsamer. Aufgrund des Giftes. Messer und Gift müssen in einem zeitlichen Abstand von fünf Sekunden in ihn eingedrungen sein.«
»Das ist doch eigentlich perfekt«, rief Beyer enthusiastisch aus. »Man schleicht sich in der dunklen Zelle an das Opfer heran, rammt ihm die Spritze in die linke Schulter, und in dem Moment, wo es sich umdreht, stößt man ihm das Messer ins Herz. Alles innerhalb von fünf Sekunden.«
»Wenn du meinst«, sagte Bouhaddi und zuckte mit den Achseln. »Dieses Szenario ist denkbar.«
»Um welche Art von Gift handelt es sich?«, fragte Hjelm.
»Wissen wir noch nicht«, antwortete Bouhaddi. »Sie arbeiten noch an der Analyse der chemischen Zusammensetzungen. Irgendeine Art, Zitat, ›Multigift‹.«
»Und von der derart vergifteten Leiche hat der Mörder danach also glatt abgebissen?«, fragte Hjelm. »Ist das nicht irgendwie paradox? Fünf Tage Planung, ein spezielles Multigift in Kombination mit einem exakt geführten Messerstich. Und dann isst er von der Giftmischung. Wie ein absoluter Vollidiot. Taumelt von Sinnen den Hügel hinunter und klaut im Hafen ein Motorboot, fährt in seinem zunehmenden Giftrausch in Richtung Festland und fällt schließlich mausetot aus dem Boot, woraufhin es führerlos vor der Küste treibt.«
»Nein.«
»Nein?«
»Nicht notwendigerweise«, antwortete Bouhaddi. »Denn mit den Zähnen stimmt irgendetwas nicht. Der Rechtsmediziner arbeitet zwar gerade daran, einen Zahnabdruck zu rekonstruieren – es herrscht kein Zweifel daran, dass es sich um ein Gebiss handelt –, aber er hat noch etwas festgestellt.«
»Und das wäre?«
»Keine fremde DNA in der Bisswunde.«
»Kann es sein, dass der Mörder die Wunde einfach nur gründlich gereinigt hat?«
»Dann hätte man wahrscheinlich Spuren von Seife, Desinfektionsmittel oder Ähnlichem darin gefunden.«
»Und wie lautet dein Vorschlag?«
»Das Einzige, was ich mir denken könnte, ist, dass es sich nicht um echte Zähne handelt.«
»Und was dann?«, fragte Hjelm, der sich vorkam wie ein Grundschullehrer.
»Irgendein künstliches Gebiss, eine Attrappe mit einer gewissen Kraft.«
»Es kostet zweifellos viel Kraft, um ein Stück Fleisch aus einem Arm zu beißen«, warf Miriam Hershey ein. »Aber mir fällt es ziemlich schwer, mir so eine Konstruktion vorzustellen.«
»Obwohl das die unbegreifliche Wahnsinnstat erklären würde, denn wer beißt ein Stück Fleisch aus einem vergifteten Körper?«, meinte Hjelm.
»Ein starkes künstliches Gebiss stünde also für ein Wunder an mentaler Gesundheit?«, fragte Laima Balodis.
»Das wäre jedenfalls konsequenter«, meinte Bouhaddi.
»Außerdem verstärkt es den Eindruck eines kontrolliert agierenden, aber verrückten Serienmörders«, bemerkte Söderstedt. »Er wird weitermorden, da könnt ihr sicher sein. Und alles deutet darauf hin, dass er es auch schon zuvor getan hat.«
»Obwohl wir diesbezüglich nichts gefunden haben«, warf Angelos Sifakis ein, der bislang schweigend dagesessen und seinen Computer bearbeitet hatte. »Wir haben zu wenige Anhaltspunkte. Kannibalismus ist leider ein Phänomen, das häufiger auftritt, als man denkt. Das reicht als Suchkriterium nicht aus. Da erhält man allein in Europa massenweise Treffer aus den vergangenen zehn Jahren. Wir müssen weitere Parameter finden, um die Suche einzugrenzen.«
»Was sagt denn Marek Kowalewski dazu, der sich speziell mit Roman Vacek beschäftigt hat? Gibt es irgendwelche Hinweise darauf, dass Vacek eine Reise nach Capraia geplant hat, und wenn ja, aus welchem Grund?«
»Ich war sowohl
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