Zorn: Thriller (German Edition)
in Prag als auch in Straßburg und habe mich umgeschaut«, antwortete Kowalewski. »Und ich habe seinen privaten Computer und den in seinem Büro durchforstet. Sein Handy hingegen ist verschwunden, vermutlich auf der Insel geblieben. Auf den Computern habe ich keine einzige Andeutung zu Capraia gefunden – oder auch nur irgendwelche Pläne für den aktuellen Tatabend oder die Nacht. Hier klafft eine große Lücke in dem sonst vollen Terminkalender. Zu seinen engsten Mitarbeitern im Europaparlament in Straßburg hatte er nichts weiter gesagt, außer dass er sich darauf freue, am Wochenende auszuschlafen. Seiner Ehefrau in Prag hatte er allerdings mitgeteilt, dass er am Wochenende arbeiten müsse und aus diesem Grund nicht nach Hause kommen könne. Im Augenblick bin ich gemeinsam mit einigen Computertechnikern dabei, alle gelöschten Daten, die sich noch auf den Festplatten befinden, wiederherzustellen.«
»Schlussfolgerung?«, fragte Hjelm knapp.
»Roman Vacek wurde nach Capraia gelockt und wollte es geheim halten«, antwortete Kowalewski prompt. »Was bedeutet, es ging um Sex oder politische Geheimnisse. Da er jedoch in einer sogenannten offenen Ehe lebte, hatte er keinen Grund, ein erotisches Rendezvous zu verheimlichen. Seine Frau hatte an diesem Wochenende offenbar ebenfalls eines und hat es nicht zu vertuschen versucht. Ich tippe also darauf, dass unser Mann mit dem Schnauzbart ihm irgendwelchen politischen Sprengstoff angeboten hat, für den Vacek bereit war, sich einigen Mühen und einem hohen Risiko auszusetzen.«
»Vacek war Kommunist und EU-Parlamentarier«, merkte Hjelm an. »Von welcher Art Sprengstoff reden wir also?«, fragte Hjelm.
»Vermutlich gab es gar keinen Sprengstoff«, antwortete Söderstedt.
»Wie meinst du das?«
»Es ging lediglich darum, ihn dort hinzulocken. Um ihn zu ermorden und ein Exempel zu statuieren.«
»Du meinst, dass der Mörder der Welt etwas mitteilen will?«
»Ich denke, dass alles auf diese Art von Serienmord hindeutet. Die vermeintlich idealistische. Sonst würde man sich nicht einen derart hochrangigen Politiker aussuchen. Es riecht förmlich nach jemandem, dem irgendeine Ungerechtigkeit widerfahren ist. Und der sich deshalb rächt.«
»Das ist jetzt aber wilde Spekulation«, erklärte Hjelm. »Es gibt doch gar keinen Hinweis auf eine Mordserie. Wenn er der Welt etwas sagen wollte, dann hätte er bei früheren Morden mehr Aufsehen erregt. Aber wir finden nichts dergleichen.«
»Irgendetwas ist vorgefallen«, beharrte Söderstedt. »Er hat eine neue Ebene erreicht. Er wusste, dass dieser Mord große Aufmerksamkeit erregen würde. Und es kann durchaus sein, dass er erst jetzt will, dass wir seine früheren Taten aufdecken. Erst jetzt beginnt er zu sprechen. Die vorigen Taten fielen in die Planungsphase. Sie werden erst später zur Geltung kommen.«
»Was sagt ihr anderen dazu?«, fragte Hjelm.
»Nur, dass wir keine anderen Taten ausfindig machen«, antwortete Angelos Sifakis. »Wenn in der Vergangenheit etwas geschehen wäre, hätten wir das doch in den Registern finden müssen. Trotz des Mangels an Parametern. Wir haben sogar ›Zettel mit Text‹ in die Suchfunktion eingegeben, und jetzt können wir noch hinzufügen, dass es sich um den Grafen von Monte Christo handelt, obwohl wir eigentlich schon zuvor Treffer hätten landen müssen.«
»Wenn die Zettel gefunden worden wären«, bemerkte Söderstedt. »Vielleicht stecken sie ja noch in den Wänden.«
»Hinterlassen von einem kannibalistisch veranlagten Mörder«, ergänzte Sifakis. »Wenn du vorhast, tausend Tatorte in Europa aufzusuchen, habe ich nichts dagegen. Aber ehe du damit fertig sein wirst, werde ich wohl in Rente gehen.«
»Es stimmt schon«, entgegnete Söderstedt. »Für die Suche fehlen bestimmte Parameter. Was habt ihr denn eingegeben?«
»Eine ganze Reihe von Kombinationen«, antwortete Sifakis. »Messermord, Stich ins Herz, Kannibalismus, Giftinjektion, rechtshändig, Politiker, Kommunist, EU, Tschechien und, tja, Zettel mit Text. Wenn wir alles eingeben, landen wir keine Treffer, begnügen wir uns mit dem kannibalistischen Einschlag, bekommen wir zu viele.«
»Ist nicht der Arm ebenfalls ein Parameter?«, fragte Laima Balodis.
»Entschuldige«, entgegnete Sifakis, »ich habe vergessen, das zu erwähnen. Ich habe ihn in ›Arm‹, ›rechter Arm‹ sowie ›rechter Oberarm‹ unterteilt und das mit den anderen Suchworten kombiniert. Tut mir leid, aber bei keiner der Kombinationen erhält
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