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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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tun? Warum, verdammt nochmal, haben Sie ihn nicht gleich hierbehalten?«
    Ihre letzten Worte hallten laut von den kahlen Wänden wider. Schröders Büro unterschied sich so gut wie nicht von dem seines Chefs, abgesehen von drei kleinen, sorgfältig gepflegten Grünpflanzen auf dem Fensterbrett und einem alten Plakat, auf dem Nigel Kennedy mit zerzausten Haaren grinsend eine zerschrammte Stradivari in die Kamera hielt.
    Schröder hatte den Ausbruch der jungen Staatsanwältin mit unbewegter Miene verfolgt. »Wissen Sie«, sagte er ruhig, »es gibt Dinge, die erkennt man erst, wenn man eine Weile darüber nachgedacht hat.«
    »Ach!« Frieda Borck blies sich eine Locke aus der Stirn.
    »Stapic hat sich während der Vernehmung in keinster Weise verdächtig gemacht. Alles, was er sagte, war schlüssig und überzeugend vorgetragen. Es gab absolut keinen Grund, ihn festzuhalten.« Schröder zuckte bedauernd die Schultern. »Leider ist mir die entscheidende Idee erst gekommen, als er schon weg war.«
    »Welche Idee?«
    Schröder erklärte ihr seine Vermutung über die Bedeutung der Buchstaben. Sie hörte ihm mit wachsender Verwunderung zu und meinte dann: »Wenn dieses Wort tatsächlich kroatisch ist, haben wir einen Hauptverdächtigen, der sein Zeichen sowohl an einer der Leichen als auch an einem der Tatorte hinterlassen haben könnte.«
    »So seh ich’s auch.«
    »Das war hervorragende Arbeit, Herr Kommissar.«
    »Ich weiß.« Schröder lächelte. »Leider ein wenig spät.«
    »Besser spät als nie. Hat die Fahndung irgendwelche Ergebnisse vorzuweisen?«
    Schröder schüttelte den Kopf. »Stapic ist verschwunden. Wir brauchen einen Durchsuchungsbeschluss für seine Wohnung. Und für die Bar.«
    »Kriegen Sie. Es wär gut, wenn Sie dabei sind.« Sie ging um den Schreibtisch und reichte ihm die Hand. Schröder ergriff sie und erhob sich höflich.
    »Ich muss mich zum zweiten Mal entschuldigen.« Die Staatsanwältin sah auf Schröder hinab. Sie war fast einen halben Kopf größer als er. »Wissen Sie, manchmal habe ich Angst, dass mir das alles über den Kopf wächst.«
    »Sie schaffen das.«
    »Natürlich.«
    Sie standen einen Moment verlegen da, dann sah sich Frieda Borck im Zimmer um und bemerkte das Plakat. »Sie stehen auf Nigel Kennedy, Herr Schröder?«
    »Wundert Sie das?«
    »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie sich für klassische Musik interessieren.«
    »Oh«, Schröder hob die Arme. »Es gibt vieles, das ich mag. Es weiß nur nicht jeder.«
    Sie nickte kurz und wandte sich zur Tür. Dort drehte sie sich noch einmal um. »Wo ist eigentlich Herr Zorn?«
    Schröder zuckte die Achseln. Er selbst war seit einer ganzen Weile auf der Suche nach ihm, doch Zorn war weder in seinem Büro noch auf dem Handy zu erreichen. Instinktiv, vielleicht auch aus der Gewohnheit heraus, seinen Chef schützen zu müssen, griff er zu einer Notlüge.
    »Soviel ich weiß, ist er auf dem Parkplatz und raucht.«
    »Seit zwei Stunden?«
    »Was soll er machen, der Arme?«, erwiderte Schröder scheinbar ratlos. »Er ist halt ein sehr, sehr starker Raucher, Frau Staatsanwältin.«
    Frieda Borck kniff die Augen zusammen. »Sie mögen ja ein guter Polizist sein, Herr Schröder. Aber das gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, mich zu verarschen.«
    *
    Der Gang erwies sich als schmaler Felsspalt, der ungefähr mannshoch und so schmal war, dass man die glatten Porphyrwände links und rechts mit ausgestreckten Händen berühren konnte. Es schien sich um eine natürliche Höhle zu handeln, die Wände waren unbearbeitet und leicht geneigt, wahrscheinlich trafen sie sich irgendwo weiter oben und bildeten die Decke.
    Es war kälter geworden. Zorn ging voraus, er spürte Mahlers Atem im Nacken, der direkt hinter ihm lief und mit der Lampe leuchtete. Bereits nach wenigen Minuten hatte Zorn die Orientierung verloren, der Weg änderte immer wieder die Richtung und zog sich in engen Windungen leicht bergab. Ständig musste er kleinen Pfützen ausweichen, überhaupt schien das Wasser allgegenwärtig zu sein: Seine Füße waren nass, die Jeans klamm, das feuchte Haar klebte ihm am Kopf.
    »Bleib stehen.«
    Er gehorchte und sah sich um. Zu seiner Rechten wich die Wand einige Meter schräg zurück und bildete einen Keil, dessen spitzes Ende irgendwo im Dunkel verschwand.
    Mahler leuchtete nach vorn. Direkt vor ihnen wurde der Weg wieder schmal, dann ging es scharf nach links.
    »Die Spalte zieht sich noch ein paar Kilometer in Richtung Norden«, sagte er und

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