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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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begriffsstutziger, ergrauter kroatischer Zausel wie ich lernt in einer solch langen Zeit dazu. Und es ist eine sehr …«
    Schröder richtete sich abrupt auf, griff nach dem Aufnahmegerät und stoppte die Wiedergabe. Er nahm einen Bleistift, lehnte sich zurück und sah sich an, was er soeben geschrieben hatte.
    »Ein ergrauter kroatischer Zausel?«, murmelte er leise. »Warum kommt mir das bekannt vor?«
    Eine Weile saß er zusammengesunken da und kaute nachdenklich an seinem Bleistift. Schon im Vernehmungszimmer war ihm ein Gedanke gekommen, eine Idee, die er bisher nicht hatte fassen können. Jetzt endlich nahm sie Gestalt an.
    Hastig öffnete er eine Schublade und wühlte eine Mappe hervor, in der er seine Notizen aufbewahrte. Es kam immer wieder vor, dass ihm während der Ermittlungen etwas einfiel, meist ungeordnete, wirre Gedanken, die er trotzdem aufschrieb, um sie nicht zu vergessen.
    Er fand schnell, was er suchte. Irgendwann hatte er den Begriff
SIVO
im Internet eingegeben und sämtliche Suchergebnisse wahllos untereinander geschrieben. Die Liste war lang.
    Langsam fuhr er mit dem Finger darüber.
    Kunststoffhersteller, Korkenziehermodell, Alleinunterhalter.
    Dann stockte er und ballte triumphierend die Faust. »Mann! Jetzt hab ich dich endlich«, knurrte Schröder.
    Sivo war ein kroatisches Wort.
    Es bedeutete »grau«.
    *
    Innerhalb von zwei Minuten war Zorn vom Dach des Kaufhauses hinunter auf den Markt gestürmt. Rücksichtslos drängte er sich durch die Menschen (im Erdgeschoss hätte er fast einen Kleiderständer mit Damenunterwäsche umgestoßen), dann sprintete er quer über den Markt, um kurz darauf schweratmend vor dem Bauzaun stehen zu bleiben.
    Er zwängte sich durch die Lücke, blieb an einem hervorstehenden Drahtstück hängen und schimpfte leise, als er den großen Riss in seiner linken Jackentasche bemerkte.
    Er stand direkt am Rand der Baugrube, die zur Stabilisierung der Stützpfeiler ausgehoben worden war.
    Zorn sah hinab. Unten glitzerte das Regenwasser, wie tief die Grube war, konnte er schwer schätzen. Eine Aluminiumleiter lehnte am Rand und führte hinunter. Er bückte sich und fuhr mit dem Finger über die oberste Sprosse. Der Lehm, den Mahlers Stiefel hinterlassen hatten, war deutlich zu erkennen.
    Tja, dachte er etwas beklommen, es bleibt mir wohl nichts anderes übrig. Über ihm reckte sich die riesige Wand der Kirche gen Himmel, unter ihm gähnte ein tiefes, schwarzes Loch. Er setzte den Fuß auf die Leiter, Lehmbrocken und kleine Steine lösten sich und prasselten in die Tiefe. Sekunden später hörte er, wie sie unter ihm auf dem Wasser aufschlugen. Für ein paar Sekunden wurde ihm schwindlig, er schüttelte den Kopf, und dann, als er etwas klarer sah, begann er mit dem Abstieg.
    Die ersten Stufen waren die schwierigsten. Die Leiter war dünn und schwankte bedenklich unter seinem Gewicht, die Sprossen waren feucht und schmierig, und während er vorsichtig hinabstieg, fragte er sich ein ums andere Mal, was er hier eigentlich tat.
    In fünf Metern Tiefe erreichte er den Fuß der Leiter. Sie stand auf einem breiten Vorsprung, der sich wie ein Sims um die gesamte Grube zog. Bretter, Schaufeln und verdreckte Gerüstteile waren an die Wand gestapelt.
    Von hier aus führte eine weitere Leiter nach unten. Schon wollte Zorn hinabklettern, da sah er die Fußspuren: Sie waren frisch, liefen auf dem Sims entlang und endeten an einem großen Schalbrett, das senkrecht an der Grubenwand lehnte.
    Er folgte den Spuren, indem er sich vorsichtig, Schritt für Schritt, an der feuchten Wand entlang tastete. Es war so dunkel, dass er kaum die Hand vor Augen erkennen konnte.
    Das Brett erwies sich als leichter, als er angenommen hatte, denn es ließ sich problemlos beiseiteschieben. Dahinter erschien ein rundes Loch von vielleicht einem halben Meter Durchmesser. Zorn beugte sich mit dem Oberkörper hinein. Es war stockfinster, ein kalter, modriger Luftzug schlug ihm entgegen.
    »Hallo?«
    Seine Stimme hallte sehr, sehr lange nach. Fröstelnd wich er zurück.
    Das war kein Loch. Das war ein Gang.
    Ich mag ja bekloppt sein, dachte er, aber so bekloppt bin ich auch wieder nicht. Es war schon verrückt genug, hier ohne Verstärkung herunterzusteigen, aber ich werde den Teufel tun und allein in dieses muffige Grab kriechen. Irgendwo da drin sitzt Henning Mahler und wartet auf mich. Und ich habe nicht mal eine Taschenlampe, geschweige denn eine Waffe.
    Er nahm sein Handy, um im Präsidium

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