Zorn - Tod und Regen
Pistole glänzte matt im Licht der Taschenlampe. »Was willst du, Henning? Was soll ich hier unten?«
»Das habe ich dir bereits gesagt. Ich werde dir erzählen, was passiert ist. Aber nicht hier.« Mahler hob die Waffe ein wenig. »Nun mach schon. Es ist nicht mehr weit.«
Zorn zwängte sich durch den Riss, Mahler folgte ihm auf dem Fuß und leuchtete in einen Tunnel, der eindeutig von Menschenhand geschaffen war.
Er war schmal und vollständig aus verwitterten, vom Alter geschwärzten Backsteinen gemauert. Die Decke war gewölbt und so niedrig, dass Zorn kaum aufrecht stehen konnte.
»Willkommen in der Unterwelt, Claudius.«
Hier war die Luft besser. Trocken und deutlich wärmer. Der Lichtstrahl flackerte über die unregelmäßigen Wände und verlor sich dann in der Dunkelheit. Wie lang der Gang war, konnte man unmöglich sagen.
»Was ist das?«, fragte Zorn und setzte sich in Bewegung.
Mahler folgte ihm. »Ich weiß es nicht. Aber es ist alt, uralt. Wahrscheinlich schon im Mittelalter entstanden, wenn nicht vorher.«
Der Boden war hart und bestand aus gestampftem Lehm. Immer wieder musste Zorn Steinen und Mörtelbrocken ausweichen, die sich aus der Decke gelöst hatten und überall verstreut herumlagen.
»Ich habe nur einen winzigen Teil erkundet«, sagte Mahler hinter ihm, »aber ich bin sicher, dass der Tunnel Teil eines Systems ist, das sich unter der gesamten Stadt entlangzieht.« In seiner bisher so teilnahmslosen und gleichgültigen Stimme schwang etwas mit, das man fast als einen Hauch von Euphorie bezeichnen konnte. Kaum erkennbar zwar, aber es schien, als sei er gern dort.
Eine Weile stapften sie schweigend dahin. Zorn lief gebückt, die gefesselten Hände vor dem Körper, den Blick stur auf den Boden gerichtet. Er kam sich dumm und einfältig vor, schließlich hatte er tatsächlich geglaubt, Mahler überzeugen zu können, dass er sich stellen musste. Wie naiv war er doch gewesen! Jetzt war ihm klar, dass er ohne nachzudenken in eine Falle getappt war, und so, wie es jetzt aussah, sollte er Mahler sogar noch helfen. Zorn hatte keine Ahnung, was der Mann vorhatte, aber er nahm sich fest vor, die nächste Gelegenheit zur Flucht zu nutzen.
»Ich glaube, der Tunnel hat früher als geheimer Fluchtweg gedient«, sagte Mahler hinter ihm. Sein Atem ging etwas schwer. »Wenn ich das richtig sehe, hat er die Marktkirche mit der alten Burg im Norden verbunden, was bedeuten würde, dass er mindestens drei Kilometer lang ist.«
»Tut mir leid, wenn ich dir die Laune verderbe, aber ich habe absolut keine Lust auf eine unterirdische Stadtführung«, sagte Zorn über die Schulter. »Sei so nett und halt die Klappe, und wenn wir –«
Der Rest des Satzes ging in einen erstickten Schrei über. Zorn stolperte über einen der herumliegenden Steine, verlor das Gleichgewicht, drehte sich einmal um die eigene Achse und stürzte. Vergeblich versuchte er, das Gesicht mit den gefesselten Händen zu schützen, stattdessen schlug er mit der Stirn heftig auf dem Boden auf.
Grelle Blitze zuckten vor seinen Augen, dann wurde es schwarz. Stöhnend richtete er sich auf die Knie auf und hielt sich den Kopf. Blut rann ihm von der Stirn über die Nase und vermischte sich mit dem Schweiß, der über sein Gesicht lief.
Mahler fasste ihn am Ellenbogen, zog ihn hoch und lehnte ihn an die Wand. »Ich hatte gesagt, du sollst aufpassen.« Dann leuchtete er ihm ins Gesicht.
»Lass das«, stöhnte Zorn und schloss geblendet die Augen.
»Ich muss das untersuchen.«
Er fuhr mit dem Daumen prüfend über die Stirn. Zorn jaulte auf und zuckte zurück.
»Spinnst du?«
»Es ist nur ein kleiner Riss, du wirst es überleben.«
»Schön, wie du dich um mich sorgst. Und jetzt nimm mir diese Scheißfesseln ab.«
»Kann ich dir vertrauen, Claudius?«
Zorn zwinkerte und wischte sich mit dem Handrücken das Blut aus den Augen. Sein Kopf dröhnte, als würde mit Hämmern von innen gegen den Schädel geschlagen.
»Das kannst du.« Schmerz und Wut ließen seine Stimme zittern. »Du kannst darauf vertrauen, dass ich jede Gelegenheit nutzen werde, dich außer Gefecht zu setzen. Anders ist dir nicht zu helfen.«
Mahler nickte langsam. »Das mag ich an dir. Deine Ehrlichkeit.« Er fasste Zorn mit beiden Händen an den Schultern, drehte ihn um und gab ihm einen leichten Schlag in den Rücken. »Geh weiter, Claudius. Wir sind gleich da, es sind nur noch ein paar Meter.«
Fluchend stolperte Zorn voran.
*
Im Süden der Stadt beschrieb der Fluss
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