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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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setzte den Rucksack ab. »Wir haben sie damals vermessen, als die Sanierung der Kirchenfundamente geplant wurde. Wir stehen genau zwischen zwei tektonischen Platten. Sie schieben sich übereinander, deswegen erscheinen immer wieder Risse auf dem Markt. Ich glaube übrigens, man kann so viel Beton in die Fundamente pumpen, wie man will, die Kirche wird sich weiter neigen, bis sie irgendwann einstürzt.«
    Zorn steckte die Hände in die Hosentaschen und drehte sich um.
    »Das sind ja wirklich tolle Neuigkeiten.« Sein Atem bildete feine Wölkchen vor dem Mund. »Danke, ohne dich hätte ich das nie erfahren, Henning.«
    »Es interessiert dich wirklich nicht, oder?«
    »Nicht die Bohne.«
    Sie schwiegen einen Moment. Dann reichte Mahler Zorn die Lampe. »Halt das mal.« Er nahm die Mütze ab, hockte sich hin und begann, in seinem Rucksack zu kramen. »Weißt du«, sagte er, ohne aufzusehen, »du bist wahrscheinlich der ignoranteste Mensch, der mir je begegnet ist.«
    »Vielleicht habe ich einfach nur keine Lust, mir einen Vortrag über tektonische Platten und Baustatik anzuhören.«
    Henning Mahler kniete direkt vor Zorn. Der stand da, die Lampe in der Linken, und starrte auf dessen Hinterkopf. Er bemerkte eine kleine, runde Stelle, an der das Haar ausgefallen war. Hoch über ihnen löste sich ein einzelner Wassertropfen und klatschte leise auf Mahlers Schulter.
    Zorn hielt den Atem an und hob die Lampe.
    Sie war groß. Und sie war aus Metall, das schwer in seiner Hand lag. Wie ein Schlagstock.
    Mahler war ausschließlich mit seinem Rucksack beschäftigt.
    Ich zähle bis drei, dachte Zorn. Dann schlage ich zu.
    »Alles, woran du denken kannst, dreht sich um dich«, sagte Mahler.
    Eins.
    »Oder um Frauen und schlechte Rockmusik.«
    Zwei.
    »Oder irre ich mich, Claudius?«
    Drei.
    Mahler blickte auf. Ein paar Sekunden sahen sie sich direkt in die Augen. Dann ließ Zorn die Lampe sinken. Es war zu spät, er konnte es nicht.
    Mahler stand auf und streckte die Hand aus. »Gib sie mir wieder.«
    Zorn reichte ihm die Lampe.
    »Ich hätte dir eben eins über den Schädel ziehen können. Und Verstärkung holen.«
    »Ich weiß. Aber du hast es nicht getan.«
    »Vielleicht tu ich’s ja noch.«
    »Das glaube ich nicht. Es war das zweite Mal, dass ich dir die Entscheidung überlassen habe, aber es war deine letzte Gelegenheit. Streck die Arme vor, Claudius.« Mahler hielt ein paar Kabelbinder in der Hand.
    »Was soll die Scheiße, Henning?«
    »Ich muss sichergehen. Vielleicht nehme ich sie dir nachher wieder ab.«
    »Ich werde mich nicht von dir fesseln lassen.«
    »Doch.« Mahler seufzte, und es klang fast gelangweilt, als er fortfuhr: »Ich bin der, der die Waffe hat. Du bist der, der jeden Moment erschossen werden kann.«
    Zorn sah ein, dass er keine Wahl hatte. Was bin ich nur für ein Weichei, dachte er, ich hätte ihn eben niederschlagen können. Er biss die Zähne zusammen und ließ sich widerstandslos fesseln. Dann hob er die Hände ein wenig. »Sind das dieselben Kabelbinder, die du auch bei Sigrun Bosch verwendet hast?«
    Mahler sah überrascht auf. Öffnete den Mund, schloss ihn dann wieder und betastete stattdessen die Fesseln. »Sind sie zu fest? Ich will nicht, dass sie dir ins Fleisch schneiden.«
    »Danke der Nachfrage, ich komme zurecht.«
    »Dann sollten wir langsam weiter.«
    Zorn wollte losgehen, doch Mahler hielt ihn zurück. »Warte.«
    »Was kommt als Nächstes?« Zorn drehte sich wütend um. »Knebelst du mich? Oder willst du mir die Augen verbinden?«
    »Nein. Du gehst den falschen Weg.« Mahler deutete nach rechts in die keilförmige Ausbuchtung. »Wir müssen hier lang.«
    »Sehr witzig«.
    »Geh drei Schritte vor, dann siehst du’s.«
    Zorn tat es. Die Vertiefung bildete ein Dreieck, dessen hinterer, spitzer Winkel auf den ersten Blick vollständig geschlossen war. Er hob die gefesselten Hände und fuhr mit den Fingern prüfend über den feuchten Fels.
    »Ich habe den Durchgang nur zufällig entdeckt«, sagte Mahler hinter ihm und leuchtete hinein.
    Die Wände stießen nicht direkt aneinander, sondern überlappten ein wenig, wobei die eine ein wenig über die andere hinausragte. Von vorn betrachtet ergab sich das Bild einer geschlossenen Wand, erst wenn man von der Seite hinsah, bemerkte man den schmalen Spalt, breit genug, dass ein Mann bequem hindurchgehen konnte. Bei oberflächlichem Hinsehen war er unmöglich zu erkennen.
    »Du gehst voraus. Und mach keine Dummheiten.«
    Zorn drehte sich um. Die

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