Zorn - Tod und Regen
Zigarre, kniff die Augen zusammen und beobachtete, wie der Rauch in dünnen Schlieren durch das dämmrige Zimmer zog. Das Dunkel hatte er schon immer geliebt, hier fühlte er sich sicher. Und er vergötterte die Callas. Jeder Ton klar wie ein Diamant, sauber, fast klinisch rein, eine perfekte Maschine. Selbst der Hass und die Wut waren haargenau kalkuliert.
Er trank einen Schluck Wein. Der war ihm zu trocken, er kräuselte die Lippen, als er den sauren Geschmack in der Kehle spürte.
Seufzend stand er auf, um dem Mädchen etwas zu essen zu bringen.
*
Es klopfte. Einmal. Dann noch einmal. Beim dritten Mal schreckte Zorn hoch und stieß sich das Knie heftig an der Schreibtischschublade.
»Hast du geschlafen?«, sagte Schröder und trat vorsichtig ein.
»Quatsch«, brummte Zorn und fragte sich wieder einmal, warum er immer automatisch log, wenn ihm diese Frage gestellt wurde. »Wie spät ist es?«
»Halb drei.« Schröder reichte ihm einen Kaffeebecher, schob mit dem Fuß einen Stuhl vor den Schreibtisch und nahm Platz. »Nachmittags«, fügte er hinzu, als er Zorns verdatterten Gesichtsausdruck bemerkte. Toll, dachte der. Ich verpenne den halben Tag, während hier die Hölle los ist.
Er rieb sich unauffällig das schmerzende Knie und versuchte, seiner Stimme einen geschäftsmäßigen Klang zu geben.
»Also, was gibt’s Neues?«
»Nicht viel. Wir haben Rückmeldung vom Stadtklinikum. Ella Mahler ist dort behandelt worden. Laut Auskunft des Krankenhauses ist sie gestern von ihrem Vater abgeholt worden. Das sollte die Fahndung nach Henning Mahler erleichtern. Jetzt suchen wir nach einem erwachsenen Mann in Begleitung eines zehnjährigen Kindes.«
Zorn, der nur mit halbem Ohr zugehört hatte, bemerkte einen feuchten Fleck auf seinem Unterarm. Und zwar an der Stelle, auf der soeben noch sein Kopf gelegen hatte. Herrgott, überlegte er. Ich werde alt. Jetzt sabbere ich schon im Schlaf.
»Weiter?«, meinte er dann.
»An den Leichen von Hannah und Tom Mahler sind Spuren anderer Personen gefunden worden. Ich lasse sie mit einer Haarprobe von Henning Mahler vergleichen. Morgen mittag haben wir das Ergebnis.«
»Bei Tom Mahler würde mich das nicht wundern. Sie hatten schließlich ständig Kontakt.«
»Das stimmt, Chef. Es geht mir auch um Hannah. Wenn wir dort etwas finden, hätten wir eine Verbindung zwischen ihr und Mahler.«
Zorn fuhr sich schlaftrunken über den Mund.
»Was ist eigentlich mit Mahlers Handy?«
»Das ist ausgeschaltet und nicht zu orten.«
»Und wir haben also immer noch keine Ahnung, wo er steckt?«
»Nicht die geringste.«
Das war nicht weiter verwunderlich, schließlich wurde noch nicht einmal 24 Stunden nach Henning Mahler gesucht. Trotzdem sank Zorns Laune rapide. »Was machen die Herrschaften von der Fahndung eigentlich den ganzen Tag?«, knurrte er und nahm sich eine Zigarette.
»Keine Ahnung.« Nach einer kurzen Pause fügte Schröder langsam hinzu: »Schlafen tun sie jedenfalls nicht.«
Zorn horchte auf. »Gibt es irgendetwas«, sagte er gedehnt und lehnte sich in seinem Sessel zurück, »was du mir mit dieser süffisanten Bemerkung mitteilen willst, mein Lieber?«
Schröder sah seinen Chef mit großen Augen an.
»Ich habe keine Ahnung, was du meinst.«
»Einen Moment hab ich geglaubt, einen sarkastischen Unterton zu vernehmen.«
Schröder zuckte mit keiner Wimper. »Würde mir nie einfallen«, antwortete er unschuldig. »Gut.« Zorn rieb sich den steifen Nacken und gähnte leicht. »Sonst noch irgendwelche Erfolgsmeldungen?«
»Wie man’s nimmt. Die eingeritzten Zeichen im Kirchturm sind frisch, meint die Spurensicherung. Und wo wir einmal bei Erfolgsmeldungen sind …« Schröder zögerte einen Moment.
»Ja?«
»Ich habe die Überwachungskameras am Bahnhof checken lassen. Der Koffer stand zwar außerhalb ihres Einzugsbereiches, aber trotzdem hätte der, der ihn dort abgestellt hat, irgendwann durchs Bild laufen müssen.«
Zorn fuhr hoch.
»Und? Ist er?«
»Ich weiß es nicht, Chef.«
»Was?«
»Sie sind ausgefallen.«
»Wer?«
»Die Kameras.«
»Wie?«
Zorns Gesichtsausdruck schien Bände zu sprechen, denn Schröder hob theatralisch die Hände und meinte: »Schlag mich nicht, Chef. Ich bin nur der Überbringer der Botschaft.«
»Du willst also sagen, dass die Überwachungsanlage ausgefallen ist. Und das ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als ein mutmaßlicher Serientäter mit einer Leiche im Koffer auf dem Bahnhof erscheint?«
»Jawoll.«
»Habt ihr das
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