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Zorn und Zärtlichkeit

Zorn und Zärtlichkeit

Titel: Zorn und Zärtlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Lindsey
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Morgen aufheitern. Sie saß in der Halle vor dem großen Kamin, sah und hörte nicht, was ringsum geschah, sah nur die qualvollen Visionen, die an ihrem inneren Auge vorbeizogen, Bilder von blutigen, verstümmelten Gestalten.
    Gegen Mittag drang eine Stimme zu ihr durch - eine Stimme, die sie verachtete. Jessie Martin saß ihr gegenüber und lächelte selbstgefällig.
    Sheena hatte keinen Grund, diese Frau zu hassen. Sie war sogar voller Mitleid gewesen, als Jamie seine ehemalige Geliebte so grausam behandelt hatte. Trotzdem war ihr Jessie in tiefster Seele zuwider.
    »Habt Ihr etwas gesagt?« fragte Sheena höflich.
    »Ich habe Euch gefragt, ob Ihr Schloss Kinnion noch immer nicht verlassen wollt«, erwiderte Jessie.
    »Warum sollte ich? Habe ich hier nicht alles, was ich mir wünschen kann - ein schönes Heim, einen begehrenswerten Ehemann?«
    Jessies Augen verengten sich. »Ich hätte gedacht, Euer Fergusson-Stolz müsste Euch aus diesem Haus treiben, wo Ihr unwillkommen seid.«
    »Wer will mich denn nicht hier haben?« fragte Sheena mit einem unschuldigen Lächeln. »Soviel ich weiß, legt Jamie großen Wert darauf, dass ich bleibe - sehr großen Wert.«
    »Aber sonst niemand!« zischte Jessie. »Die Leute sprechen es nicht aus - aber sie denken es. Ihr habt Jamie verändert. Er ist nicht mehr der Mann, der er einmal war, und deshalb hassen Euch alle.«
    »Lügnerin!«
    »Sie sagt die Wahrheit, Sheena.«
    Sie drehte sich um. Black Gawain stand hinter ihr. Das Gefühl, von den beiden in die Enge getrieben zu werden, war so stark, dass sie daran zu ersticken glaubte.
    »Das stört Jamie vorerst nicht«, fuhr Gawain fort. »Noch ist er dem Reiz der Neuheit verfallen, den Ihr auf ihn ausübt.
    Aber wenn die Leidenschaft nachlässt , wird er Euch hassen für alles, was Ihr getan habt. Und dann könnte es zu spät sein. Seine Verwandten werden sich gegen ihn wenden. Nur Euretwegen. Und das ist es, was Ihr anstrebt, nicht wahr, Sheena Fergusson? Dass sein Herz hin und her gerissen wird - zwischen Euch und seinem Clan.«
    Vergebens suchte Sheena nach einer Antwort, und die beiden warteten auch gar nicht darauf. Jessie stand auf und folgte Black Gawain, der sich abrupt abgewandt hatte und davoneilte.
    Sheena blieb allein mit ihrem Zorn. Was für bösartige Lügen! Aber - hatten sie wirklich gelogen? Es schien ihr durchaus möglich, dass man sie in diesem Haus ablehnte. Immerhin war sie eine Fergusson, eine Feindin. Und wenn man bedachte, was seit ihrer Hochzeit geschehen war - hatte sie sich nicht die bittersten Vorwürfe gemacht, weil die alte Fehde ihretwegen neu entfacht wurde? Zweifellos gaben ihr auch die anderen die Schuld daran.
    Sie saß noch ein paar Minuten wie betäubt vor dem Feuer, dann erhob sie sich langsam und ging in ihr Zimmer hinauf, wo sie ihr altes grünes Kleid anzog. Ohne Hast, fast wie eine Puppe, an deren Fäden ein Spielmann zog, traf sie ihre Vorbereitungen.
    Im Hof angekommen, bat sie um ein Pferd, das man ihr unverzüglich übergab. Auch am Torhaus wurde sie nicht aufgehalten, der Wächter winkte ihr nur zu.
    Wie mühelos ich fliehen konnte, dachte sie verwundert, während sie ihre Stute den Berg hinablenkte. Hätte sie das früher gewusst , wäre sie schon gestern davongeritten. Dann hätte Jamie keine Gelegenheit mehr gefunden, ihr seine Liebeskünste zu beweisen. Und sie hätte nicht erkennen müssen, dass weder Zorn noch Kränkungen ihr Verlangen nach ihm minderten. Wäre ihr diese Erfahrung nur erspart geblieben!
    Blindlings galoppierte sie dahin, in wirre Gedanken versunken, bis sie merkte, in welche Gefahr sie sich durch ihren Leichtsinn begab. Inmitten eines abgeernteten Feldes zügelte sie das Pferd, um sich zu orientieren, und blickte in das Gesicht eines Pächters.
    »Ihr seht nicht gut aus, Mistress «, meinte der Mann in ehrlicher Besorgnis.
    »Ich fühle mich wohl - ganz bestimmt«, log Sheena.
    »Ihr seid Sir Jamies neue Frau, nicht wahr?«
    Warum sollte sie es leugnen? »Ja, das bin ich.«
    Der Mann nickte. »Er wird bald zurückkommen. Sicher wollt Ihr ihm entgegenreiten.«
    »Ich - ich...«
    »Hört doch, Mistress , Ihr seht wirklich schlecht aus. Kommt doch mit mir! Meine Frau Jannet gibt Euch was zu trinken.«
    Sie erlaubte ihm, das Pferd zu einer kleinen Hütte zu führen. Er half ihr aus dem Sattel und bat sie hinein. In dem kleinen Raum war es dunkel, dicke Vorhänge verschlossen die Fenster. In der Mitte glühte ein Feuer. Als die Tür aus Weidengeflecht zufiel, wurde

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