Zorn und Zeit: Politisch-psychologischer Versuch (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
diesem Hintergrund heißt Gelassenheit in der Gemeinheit.
Die vielzitierte Umwertung aller Werte könnte ihrem erklärten Ziel nie näher kommen, wenn es ihr nicht gelingt, auch die Tatsachen der Geldwirtschaft unter einem veränderten Licht zu zeigen. Wer den Stolz in die Ökonomie einführt, muß entweder wie ein Adliger vor der Französischen Revolution bereit sein, sich dem Prestige des eigenen Namens zuliebe durch ostentative Verausgabung zu ruinieren,oder einen postaristokratischen Weg zur souveränen Verwendung des Reichtums finden. Die Frage lautet also: Gibt es eine Alternative zu dem triebhaften Anhäufen von Wert, zum chronischen Zittern vor dem Augenblick der Bilanz und zu dem unerbittlichen Zwang des Zurückzahlens von Schulden?
Die Suche nach der Antwort führt auf ein Feld, auf dem ökonomische und moralische Tatsachen noch nicht leicht unterscheidbar sind. Im Herzen der gewöhnlichen Wirtschaftsweise entdeckt der von Nietzsche inspirierte Kritiker der Allgemeinen Ökonomie die Umwandlung moralischer Schuld in monetäre Schulden. Kaum nötig zu sagen, daß die kapitalistische Wirtschaftsweise kraft dieser pragmatischen Verschiebung erst ihren Siegeszug beginnen konnte. Die Zeit der Schuld ist geprägt von der Verfolgung eines Täters durch die Konsequenzen seiner Taten – sie endet folgerichtig mit der Verbüßung der Tatfolgen. Indessen heißt Schulden haben nichts anderes als eine Zeit des Tilgungszwangs durchleben. Während aber Schuld deprimiert, machen Schulden munter, solange sie im Bündnis mit unternehmerischer Energie auftreten. 30 Schuld und Schulden weisen ein entscheidendes verbindendes Merkmal auf: Beide sorgen dafür, daß das Leben des Belasteten an einen in der Vergangenheit geknüpften Knoten gebunden bleibt. Gemeinsam stiften sie einen rückwärtsgewandten Beziehungszwang, wodurch das Gewesene seine Vorherrschaft über das Kommende aufrechterhält.
Abzahlen und heimzahlen, das sind die Akte, die den Vorrang des Zurück in den Mittelpunkt der Transaktionen stellen. Sie sind die sachlichen
Operationen, deren Übersetzung ins subjektive Empfinden das Ressentiment ergibt. Verfolgtman das Konzept Ressentiment bis zu seinen materiellen und ökonomischen Quellen, so stößt man auf die unvordenkliche Überzeugung, nichts in der Welt sei umsonst zu haben und jeder Vorzug müsse bis ins kleinste zurückgezahlt werden. Hier geht das ökonomische Denken in Ontologie über und Ontologie in Ethik. Sein – das meint hier die Summe der Transaktionen, die das Gleichgewicht zwischen dem Geliehenen und dem Zurückzugebenden sichern. Im Geiste der von der Idee der Erstattung verhexten Makroökonomie hat man am Beginn der metaphysischen Ära sogar den Tod als Tilgung einer Schuld gedeutet, die der Lebenempfänger beim Lebengeber aufgenommen habe. Die höchste Artikulation des Gedankens scheint in dem dunklen Satz des Anaximander auf, nach dem das Grundgeschehen des Seins selbst als »Erstattung leisten« ( tisin didonai ) gedeutet wird. 31 Wer sich von der Höhenlage der Intervention Nietzsches gegen den Geist der Zurückzahlung einen Begriff machen möchte, muß zur Kenntnis nehmen, daß der Verfasser des Zarathustra selbst Anaximander angreift und dessen Satz durch sein Gegenteil auszulöschen versucht: »Siehe, es gibt keine Vergeltung.« 32
Die Andere Ökonomie gründet auf der These, daß das Zurückzahlen von Wert eine Fiktion ist, die aus dem zwanghaften Gebrauch des Schemas der
Gleichwertigkeit entspringt. Will man die von der Äquivalenzillusion verhexte Sphäre verlassen, hat man das Gleichheitszeichen zwischen dem Genommenen und
dem Zurückgegebenen in Frage zu stellen. Mehr noch, man hätte es außer Kraft zu setzen, um einem Denken in Ungleichgewichten Vorrang zu gewähren. Für eine
transkapitalistische Ökonomie können darumnur die vorwärtsweisenden, die stiftenden, gebenden und überschießenden Gesten konstitutiv sein. Allein futurisch engagierte Operationen sprengen das Gesetz des Äquivalententauschs auf, indem sie dem Schuldigwerden und Schuldenmachen zuvorkommen.
Ihr moralisches Muster ist die psychologisch unwahrscheinliche, obschon moralisch unverzichtbare Geste des Verzeihens, durch die einem Schuldigen seine Tat vergeben wird. Mit dieser Gebärde wird innerhalb einer Opfer-Täter-Beziehung der Vorrang des Vergangenen aufgelöst. Das Opfer geht über seinen menschlich plausiblen und psychodynamisch legitimen Rachewunsch hinaus und gibt dem Täter die Freiheit zu
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