Zorn und Zeit: Politisch-psychologischer Versuch (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Begriffen darzustellen gewohnt ist, empfiehlt es sich künftig eher, zu einer thymotologischen Theorie des Aufeinanderwirkens mehrerer Ambitionsagenturen überzugehen. Ambitionen sind zwar durch erotische Abschattungen modifizierbar, für sich genommen gehen sie jedoch aus einem Regungsherd ganz eigenen Typs hervor und sind nur von diesem her zu durchleuchten.
Griechische Prämissen moderner Kämpfe –
Die Lehre vom thymós
Zum besseren Verständnis solcher Phänomene empfiehlt sich, wie oben angedeutet, der Rückgang zu den weitsichtigen Formulierungen in der philosophischen Psychologie der Griechen. Es ist unter anderem den Studien des neoklassizistischen jüdischen Philosophen Leo Strauss und seiner (überwiegend zu Unrecht von den politischen Neokonservativen der USA vereinnahmten) Schule zu verdanken, wenn man die von den Großen unter den griechischen Denkern statuierteBipolarität menschlicher Psychodynamik heute wieder genauer in den Blick fassen kann. Strauss hat vor allem dafür gesorgt, daß man neben Platon, dem Erotologen und Verfasser des Symposions , wieder auf Platon, den Psychologen der Selbstachtung, aufmerksam wurde. 21
Dieser liefert im 4. Buch der Schrift über das Gemeinwesen, Politeia , die Umrisse zu einer thymós -Lehre von großem psychologischem Reichtum und weittragender politischer Bedeutsamkeit. Die herausragende Leistung des platonisch gedeuteten thymós besteht in seiner Fähigkeit, eine Person gegen sich selber aufzubringen. Diese Wendung gegen sich selbst kann geschehen, wenn die Person die Ansprüche nicht erfüllt, die befriedigt werden müßten, damit sie die Achtung vor sich selber nicht verliert. Platons Entdeckung liegt im Hinweis auf die moralische Bedeutung der heftigen Selbstmißbilligung. Diese manifestiert sich zweifach – zum einen in der Scham, als einer affektiven Totalstimmung, die das Subjekt bis ins Innerste durchdringt, zum anderen im zorngetönten Selbsttadel, der die Form einer inneren Rede an sich selbst annimmt. Die Selbstmißbilligung beweist dem Denker, daß der Mensch eine angeborene, wenngleich trübe Idee des Angemessenen, Gerechten und Lobenswerten besitzt, bei deren Verfehlung ein Teil der Seele, eben der thymós , Einspruch erhebt. Mit dieser Wendung zur Selbstablehnung beginnt das Abenteuer der Selbständigkeit. Erst wer sich selber tadeln kann, kann sich selber lenken.
Die sokratisch-platonische thymós -Konzeption bildet, wie oben angedeutet, einen Meilenstein auf dem Weg zur moralischen Domestikation des
Zorns. Sie plaziert sich auf halber Strecke zwischen der halbgöttlichen Verehrungder homerischen menis und der stoischen Verwerfung aller zornhaften und heftigen Impulse. Dank Platons thymós --Lehre erlangen die zivil-streitbaren Regungen die Aufenthaltsgenehmigung in der Stadt der Philosophen. Da auch die vernunftregierte Polis Militär benötigt, das hier als Stand der »Wächter« figuriert, darf der zivilisierte thymós als Geist der Wehrhaftigkeit in ihren Mauern Quartier nehmen. Die Anerkennung der wehrhaften Tugenden als bildnerischer Kräfte im Gemeinwesen wird von Platon in immer neuen Wendungen beschworen. Noch in dem späten Dialog Politikós , der vom Handwerk des Staatsmanns handelt, betont das bekannte Webergleichnis die Notwendigkeit, das seelische Gewebe des »Staates« sowohl unter Einflechtung der besonnenen Gemütsart als auch der tapferen Gesinnung zu erstellen.
Auf der Linie platonischer Anstöße weiß auch Aristoteles über den Zorn einiges Vorteilhaftes zu sagen. Er stellt diesem Affekt ein überraschend günstiges Zeugnis aus, sofern er mit dem Mut alliiert ist und sich zur angemessenen Abwehr von Ungerechtigkeiten regt. Der legitime Zorn hat noch »ein Ohr für die Vernunft«, 22 auch wenn er oft wie ein voreiliger Diener losstürmt, ohne seinen Auftrag zu Ende anzuhören. Zu einem Übel wird er nur, wenn er mit der Unenthaltsamkeit zusammen auftritt, so daß er, die Mitte verfehlend, ins Übermaß ausufert. »Der Zorn ist nötig, und nichts kann ohne ihn durchgesetzt werden, wenn nicht er die Seele erfüllt und den Mut entzündet. Man darf ihn freilich nicht zum Führer, sondern nur zum Mitstreiter nehmen.« 23
Sofern der bürgerlich konditionierte Thymos der psychologische Sitz des von Hegel dargestellten Strebens nachAnerkennung ist, 24 wird verständlich, warum ausbleibende Anerkennung durch relevante Andere Zorn erregt. Wer von einem bestimmten Gegenüber Anerkennung fordert, unterzieht dieses einem
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