Zorn und Zeit: Politisch-psychologischer Versuch (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
moralischen Test. Verweigert sich der Angesprochene dieser Prüfung, muß er sich mit dem Zorn des Herausforderers auseinandersetzen, da dieser sich mißachtet fühlt. Die Zornaufwallung geschieht zunächst, wenn mir die Anerkennung von Anderen vorenthalten wird (woraufhin extravertierter Zorn entsteht), aber sie regt sich auch, wenn ich mir selber im Licht meiner Wertideen die Anerkennung verweigere (so daß ich Ursache habe, gegen mich selber zu zürnen). Der Lehre der Stoa zufolge, die den Kampf um Anerkennung ganz nach innen verlegte, soll dem Weisen die interne Selbstbilligung genügen, zum einen weil der Einzelne ohnehin keine Macht über das Urteil der Anderen hat, zum anderen weil der Wissende danach streben wird, sich von allem frei zu halten, was nicht von ihm selber abhängt.
In der Regel jedoch verbindet sich die thymotische Regung mit dem Wunsch, das Selbstwertgefühl in der Resonanz der Anderen bestätigt zu sehen. Dies ist
ein Verlangen, das man ohne weiteres als eine Anleitung zum Unglücklichsein mit dauerhafter Erfolgsgarantie auffassen dürfte, gäbe es nicht hier und da
Beispiele für geglückte wechselseitige Anerkennung. Was die abgründige Vorstellung einer fundierenden Spiegelung angeht, hat Lacan hierzu vielleicht das
Nötige gesagt, obschon seine Modelle, von der Sache her vermutlich zu Unrecht, die frühen infantilen Zustände ins Zentrum der Betrachtung rücken. In
Wahrheit ist das Leben vor dem Spiegel eher eine Krankheit der Jugend. Doch auch unter Erwachsenen bedeutet das Streben nach Reflexion in der Anerkennung
der Anderen oft nichts anderes als den Versuch, ein Irrlicht in Besitz zu nehmen – im philosophischen Jargon: sich im Substanzlosen zu
substantialisieren.Im übrigen drückt Lacans Werk die Ambition aus, die von Kojève reformulierte Thymotik mit der psychoanalytischen Erotik zu amalgamieren. Den Kern seines Unternehmens bildet die freibeuterische Vermischung des Freudschen Wunsches mit dem Hegelschen Ringen um Anerkennung. Durch die Einführung des systemfremden Faktors sprengte Lacan das Freudsche Lehrgebäude auf, nicht ohne zu behaupten, es handle sich in Wahrheit um eine »Rückkehr zu Freud«. Ohne Zweifel deutete die Aufnahme eines thymotischen Elements in die psychoanalytische Grundlehre in die richtige Richtung. Die Konsequenz war fürs erste jedoch das verwirrende Heranwachsen einer Performance, die den Hybridbegriff désir populär machte. Mit ihm konnte Lacan zudem seine tiefe Verkennung der Sexualität kaschieren. Die Rede vom »Begehren« war attraktiv, weil sie zwei vom Ursprung her völlig verschiedene, obschon in Wechselwirkung miteinander verbindbare Phänomene abdeckte. Die Verwirrung war so vollkommen wie willkommen. Bezeichnenderweise gibt es inzwischen zahllose »Einführungen in Lacan« im ko-konfusen Stil; ein klares Resümee läßt auf sich warten, und wie man sieht, aus einem klar bezeichenbaren Grund: Lacans Beiträge zum psychologischen Wissen der Gegenwart ließen sich nur mittels einer Rahmentheorie reformulieren, in der das Verhältnis von Erotik und Thymotik geklärt wäre. Solange jedoch die zu rahmende Theorie selber als Rahmen und Maßstab auftreten will, ist kein Ende der Konfusion in Sicht.
Vollendeter Kapitalismus: Eine Ökonomie der Generosität
Es war Georges Bataille, der mitten im »Zeitalter der Extreme« 29 aus Nietzsches psychologischen Intuitionen die ökonomischen Konsequenzen zu ziehen begann. Er hatte verstanden, daß Nietzsches moralkritischer Impuls in letzter Konsequenz auf eine andere Wirtschaft zielte. Wer die Moral in thymotischen Begriffen neu aufsetzt, muß folgerichtig die Ökonomie thymotisch reformieren. Doch wie wäre ein Wirtschaftsleben vorstellbar, das nicht auf den erotischen Impulsen, das heißt dem Begehren, dem Habenwollen, dem Einverleibungstrieb, aufbaute, sondern auf thymotischen Impulsen wie dem Verlangen nach Anerkennung und der Selbstachtung? Wie wäre die Einführung des Stolzes in die kapitalistische Wirtschaft zu denken, die sich doch offen zum Primat des Profitstrebens, das heißt der Gier, bekennt, eines summa summarum unvornehmen Motivs, das auch von seinen Verteidigern nur mit dem Hinweis gerechtfertigt wird, der unternehmerische Realist sei durch die Vulgarität des Realen selbst zur Unvornehmheit verdammt? Das Axiom der alltäglichen Geschäfte lautet bekanntlich, daß die Spielregeln akzeptieren muß, wer aus einem gemeinen Spiel als Gewinner hervorgehen möchte. Realismus vor
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