Zorn und Zeit: Politisch-psychologischer Versuch (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Verhältnismäßigkeit, das dem Feld des Gerechten und Angemessenen als regulative Idee übergeordnet ist: Aus endlicher Schuld kann niemals unendliche Strafe folgen. Da aber genau Strafen dieser Art angedroht werden, wird Gottes abgründige Ungerechtigkeit(also noch einmal: seine Allmacht) bemüht, um seine Gerechtigkeit zu demonstrieren. Das Scheitern des Arguments ist offensichtlich. Auch bei ihm ist allein der Übergang ins performative Fach für die zorntheologische Zuspitzung verantwortlich. Tatsächlich kann nichts stärkeren Eindruck hinterlassen als die Ausmalung der göttlichen terrores – und diese kommen umgehend ins Spiel, sobald die Vorstellung unerträglicher Qualen mit der Idee der Ewigkeit kombiniert wird. Der Zorn, als Gerechtigkeitsfolge ausgegeben, gehorcht in Wahrheit einer majestätspolitischen Logik. Diese verkörpert sich in einem imaginären Theater der Grausamkeit, das für die Ewigkeit andauern läßt, was in der Zeit keine Sekunde lang erträglich wäre. Daher die herausragende Bedeutung des Feuers für den terror perpetuus . Die schon für frühe Christen evidente psychopolitische Notwendigkeit, den Gott auf dem Höhepunkt seiner Zornfähigkeit zu präsentieren, wurde nach und nach von theologischen Argumenten unterfüttert – am offensten wohl bei dem großen Polemiker Tertullian, der sich keine Hemmungen auferlegte, um der durch Racheverzicht stimulierten Rachewollust der Gläubigen die vollkommene Genugtuung im Jenseits in Aussicht zu stellen. Dazu gleich mehr.
Bleibt die Herleitung des Gotteszorns aus seiner Liebe. Auch an dieser Verbindung sind nur die Modi ihres Scheiterns interessant, da die für den gesamten Bereich zuständige Ressentimentdynamik hier mit besonderer Evidenz ins Auge springt. Seit Lactantius haben die Apologeten des Zorntheorems von der Liebe Gottes auf seine Nichtgleichgültigkeit gegen das Verhalten des Menschen geschlossen und von daher die Bipolarität seines Affektlebens gefordert: Würde Gott die Gottlosen und Ungerechten nicht hassen, könnte er die Gottesfürchtigen und Gerechten nicht lieben. Also ist Gott zornig, was zu beweisen war.
Wer sich mit der affektpsychologischen Naivität dieser These nicht aufhalten möchte, kann die Herleitung des Zornsaus der Liebe Gottes auch in einer anspruchsvolleren Variante mißlingen sehen, die obendrein nahezu zeitgenössisch ist. Hans Urs von Balthasar hängt die Zorn-Gottes-Doktrin direkt am höchsten christlichen Theologoumenon, der Trinitätslehre, auf, indem er die Gleichgültigkeit von Menschen gegen die trinitarische Liebeskommunikation als Beleidigung der Ehre Gottes deutet, worauf nur Zorn die adäquate Antwort darstellen könne. Der Wunsch des Allmächtigen, alle Menschen in die Mitteilung seiner Liebe einzubeziehen, ist zunächst als Zeichen der Großzügigkeit zu lesen. Bedenklich wird sie jedoch, wenn sie von einem magischen Penetrierungsanspruch begleitet wird, dem zu widerstehen den Tatbestand der Trinitätsbeleidigung erfüllt. Darin verbirgt sich eine kaum verhüllte geschlechtsmythologische Spekulation, nach welcher Gott allein Männlichkeit zukommt, indessen alle anderen Mitspieler der heiligen Komödie weibliche Positionen einzunehmen haben – es sei denn, sie wären religiös frigide. An dem Begriff Beleidigung wird deutlich, wie die grobe ordnungspolitische Naivität der lactanzischen Zorntheologie in die verfeinerte erotodynamische Naivität einer halbmodernen Theopsychologie übergeht.
Im übrigen legt Balthasar, der bedeutendste Thymotiker unter den Theologen des 20. Jahrhunderts, den Akzent klugerweise auf die Ehre Gottes: Aus diesem Begriff folgt zum einen die Beleidigbarkeit des liebenden Gottes durch das nichtliebende oder an anderen Werten orientierte Geschöpf – was einigermaßen absurd ist; zum anderen wird die Dimension des göttlichen »Narzißmus« und seines Strebens nach Herrlichkeit so stark hervorgehoben, daß unsere funktionale Theorie des Zorns dabei auf ihre Kosten kommt. Nach Balthasar hat Gott chronisch Schwierigkeiten mit der Geltendmachung seiner Herrlichkeit, da dieser seit jeher eine okkulte Seite anhaftet. Wie kann das Unscheinbare zugleich das Herrliche bezeugen? Im Blick auf diese Komplikation läßt sich wieder die Brücke zu der psychopolitischenDeutung des Gotteszorns schlagen: Sie wird errichtet von dem Zwang, eine Macht darzustellen, die aus der Ohnmacht erwächst.
Zusammenfassend ist festzuhalten, daß das gesamte Feld der Zorn-Gottes-Thesen –
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