Zorn und Zeit: Politisch-psychologischer Versuch (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Zorns als auch die Gründe, ihn ernst zu nehmen, betonen. Solche Akte müssen naturgemäß bona fide vollzogen werden, da sie anders ihre gewünschte Drohwirkung nicht entfalten. Bei ihnen gehört die Übertreibung zur Sache selbst, indessen jeder Hauch von Ironie ihr zum Verhängnis würde. Die Reden vom Gotteszorn präsentieren sich seelsorgerlich in der Gestalt eindringlicher Predigten, theologisch als dogmatische Diskurse. Mit letzteren wird ein Nachweis für den Lehrsatz der katholischen Ontologie versucht, wonach die real existierende Hölle eine notwendige und unverzichtbare Einrichtung darstellt, die vom Gesamtbestand des Wirklichen unter keinen Umständen weggedacht werden darf. Aus dieser Sicht bestehen zwischen der Hölle und dem Gesamtplan der Schöpfung noch engere Beziehungen als die des Banco Ambrosiano zum Vatikan.
Bei den theologischen Zornherleitungen handelt es sich durchwegs um Pseudoargumente, die ausschließlich psychohistorisch von Belang sind und erst im Licht einer funktionalen Dogmenanalyse verständlich werden, auch wenn manche von ihnen noch im 20. Jahrhundert neu formuliert und als der jüngste Stand der theologischen Sophistik dargeboten wurden. In solchen gebrochenen Perspektiven sind sie noch immer aufschlußreich, weil sie Einblicke in dunklereZonen der historischen Anthropologie gewähren, namentlich die Modi der Welterzeugung beim homo hierarchicus , die Psychologie der freiwilligen Knechtschaft, die mentale Dynamik des ontologischen Masochismus, die Ökonomie des Ressentiments und die allgemeinen kulturökologischen Bedingungen der Zornaufbewahrung.
Allein der Glaube gewährt den drei stereotypen Zornherleitungen aus der Allmacht, aus der Gerechtigkeit und der Liebe Gottes Asyl, während sie auf dem freien Feld der logischen Prüfung schnell in sich zusammensinken. Schon die älteste Urkunde einer christlichen Verlegenheit angesichts des Zorn-Prädikats verrät die Brüchigkeit der Grundlagen. Bekanntlich hat Paulus im 9. Kapitel seines Briefs an die Römer das erste christliche Wort zur Verteidigung des Gotteszorns niedergeschrieben – und zwar anläßlich einer unliebsamen Entdeckung, die, kaum gemacht, ihrer fatalen Implikationen wegen gleich wieder verdeckt werden mußte: daß nämlich die göttlichen Eigenschaften Allmacht und Gerechtigkeit nicht miteinander kompatibel sind.
Man wird auf diese gefährliche Unverträglichkeit aufmerksam in dem Moment, da man den Begriff des unendlichen göttlichen Könnens auf seine ontologischen Implikationen überprüft. Dabei zeigt sich, daß die absolute Macht einen Überschuß an freien Setzungen (aus menschlicher Sicht: an Willkürentscheidungen) erzeugt, die nicht auf rationale und allgemein beifallsfähige Kriterien zurückgeführt werden können – sonst wäre Gott nur der Sekretär des Begriffs, den die humane Vernunft sich von ihm machen kann. Folglich ist die freie Allmacht Gottes für unendlich viel mehr Sachverhalte in der Welt verantwortlich, als durch das Prinzip Gerechtigkeit abzudecken sind. Die Beispiele hierfür durchziehen das Alte Testament und die apologetische Literatur. Tatsächlich liebt Gott Jakob und widmet Esau seinen Haß; und wenn die Quellen verläßlich sind, bevorzugt er Israel und läßt Ägypten fallen, indem er denPharao verstockt. Selbstverständlich hätte er in jedem Fall auch anders gekonnt, doch wollte er eben, wie er wollte. Nur warum?
Die einzig richtige Antwort lautet (bei Paulus wie bei seinen zahllosen Nachrednern), man habe angesichts von Setzungen des Allmächtigen keine Warum-Fragen zu stellen. Wer bist du, Mensch, daß du mit Gott diskutieren willst? Gott ist in weltbildarchitektonischer Sicht genau das, was Funktionalisten den Kontingenzgrund nennen: Bei diesem enden alle noch so weit getriebenen logischen Regresse. Der Intellekt darf sich ausruhen bei der letzten Auskunft: Gottes Wille und der Zufall koinzidieren im Unendlichen. Hier begegnet man dem oben erwähnten Geheimnis der Diskriminierung wieder, das Theologen mit gesenkter Stimme das mysterium ininquitatis nennen. Von Allmacht kann in der Tat erst die Rede sein, wenn sie sich in absoluter Diskriminierungs- oder Bevorzugungsfreiheit äußert. Wird diese aktuell, sind Erwartungen an Gerechtigkeit und Gleichbehandlung der Klienten außer Kraft gesetzt. Allmacht meint Unfairneß im Absoluten.
Paulus versteht die Implikationen seines Themas sehr genau. Daher erkennt er Gefahr für das andere unentbehrliche Attribut Gottes, die
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