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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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Schröder hielt sie zurück.
    »Ich mach das schon, Mama.«
    »Das ist lieb. Mein Rücken ist auch nicht mehr der jüngste.« Sie band die Schürze ab und hängte sie an einen Garderobenhaken neben der Tür. »Bekommst du jetzt Ärger bei der Arbeit? Du warst fast den ganzen Tag hier.«
    »Das ist kein Problem, ich habe jede Menge Überstunden. Die kann ich jetzt endlich mal abbummeln.«
    Sie ging zu ihm, gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
    »Schlaf gut, mein Sohn.«
    »Du auch, Mama.«
    »Alles wird gut.«
    »Natürlich.«
    Die Tür schloss sich leise, kurz darauf wurde im Badezimmer das Wasser angestellt. Schröder saß noch eine Weile am Tisch. Dann bückte er sich und hob die Gabel auf.
    »Nichts ist gut«, murmelte er. »Überhaupt nichts.«
    *
    Es war komisch.
    Egal, ob er die Augen öffnete oder schloss, es blieb dunkel. Das fiel ihm als Erstes auf, als er zu sich kam. Zorn war nicht sicher, ob er wirklich wach war, und so probierte er es denn weiter.
    Auf. Zu. Auf. Zu. Zwinkern, noch einmal. Auf. Zu. Auf. Zu.
    Nicht die geringste Veränderung. Einfach nur Schwärze. Er spürte sie auf der Haut, diese Dunkelheit, wie kratzende Wolle, nein, irgendwie wattig, sie schien zu pulsieren, klebte zwischen seinen Fingern, drang durch jede Pore, füllte die Lungen, das Atmen fiel ihm schwer.
    Zorn bewegte sich nicht. Sein Hinterkopf schmerzte, als hätten sich tausend wütende Zwerge zusammengerottet, die mit winzigen Vorschlaghämmern von innen gegen seinen Schädel pochten. Ihm war schwindlig, ein wenig übel, als würde er schweben. Das war natürlich nicht so, er spürte die Kälte des Bodens, die Nässe in seinem Rücken.
    Manchmal, in wirklich außergewöhnlichen Situationen, betete Claudius Zorn. Er war kein gläubiger Mensch, aber es hatte etwas Tröstliches, jemandem seine Gedanken mitteilen zu können, egal, ob dieser Jemand nun existierte oder nicht. Und außergewöhnlich war seine Lage allemal, wenn nicht sogar ausweglos.
    Lieber Gott, dachte Zorn, ich bin in Not. Jemand hat mich niedergeschlagen, einfach so. Ich kann nicht denken, ich weiß nicht, was hier passiert ist. Hilf mir, denn ich habe keine Ahnung, wo ich bin und auch nicht, was er vorhat, geschweige denn, warum er mich überhaupt hierhergeschleppt hat. Ich habe Angst, so große Angst, wie noch nie in meinem Leben. Und ich habe Kopfschmerzen, aber es reicht nicht, wenn du mir nur Aspirin schickst. Mach bitte was, irgendwas, damit ich hier wegkomme, ja?
    Zorn wartete geduldig.
    Los! Mach was!
    Nichts passierte, natürlich nicht. Kein Laut war zu hören, bis auf das Pochen in seinem Schädel, die Zwerge in seinem Hinterkopf schienen die Hämmer beiseite gelegt und zu Spitzäxten gegriffen zu haben.
    Vorsichtig tastete Zorn über seinen Körper. Seine Jacke raschelte, er durchsuchte die Taschen. Sie waren leer, der Schlüssel, die Brieftasche, alles war weg. Aber das war nicht schlimm. Schlimm war nur, dass sein Handy fehlte.
    Und die Zigaretten. Das war noch schlimmer.
    Auf der Brust spürte er eine kleine Ausbuchtung. Er öffnete den Reißverschluss, griff in die Innentasche und ertastete einen kleinen, knubbeligen Gegenstand, wahrscheinlich aus Plastik.
    Es dauerte, bis er begriff, dass er eine Spielzeugfigur zwischen den Fingern hielt.
    Er hatte sie geschenkt bekommen, achtlos in die Tasche gesteckt und im selben Moment wieder vergessen. Wann war das gewesen? Vorgestern Abend? Oder in einem anderen Leben?
    Sehr witzig, lieber Gott, brummte Zorn. Ich brauche Hilfe, und was machst du?
    Du schickst mir eine verschissene Star-Wars-Figur!
    *
    Insgesamt sechsunddreißig Badezellen reihten sich im Westflügel des Solbades aneinander. Claudius Zorn lag in der sechsten, von der Eingangshalle aus betrachtet. Vier Räume neben ihm, höchstens zehn Meter entfernt, lehnte Elias de Koop neben der Tür und lauschte den flachen Atemzügen des schlafenden Richters. Im Gegensatz zu Zorn hatte er keine Angst vor der Dunkelheit.
    Elias de Koop war ein Nachtmensch. Die Finsternis störte ihn nicht, im Gegenteil, er fühlte sich im Dunkeln wohl. Wenn morgens die Sonne aufging, hatte er einen Großteil seiner Arbeit bereits erledigt. Kaum jemand wusste, worin genau diese Arbeit bestand, und de Koop hatte immer darauf geachtet, dass dies so blieb.
    Er hatte die Augen geschlossen, atmete langsam und gleichmäßig durch die Nase. Sein Mund war halb geöffnet, das Kinn nach vorn gereckt, so stand er da, die Nasenflügel gebläht, wie ein Tier, das Witterung

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