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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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schläft«, wiederholte er, nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie seine Lippen sehen konnte.
    »Das ist gut. In letzter Zeit schläft er immer weniger.«
    Sie nahm die Brille ab, klappte sie sorgfältig zusammen und legte sie vor sich auf den Tisch. Schröder bemerkte, dass einer der rosafarbenen Bügel fehlte.
    »Was ist passiert?«
    »Sie ist runtergefallen. Es ist nicht schlimm, morgen bring ich sie zum Optiker.«
    »Er hat dich geschlagen, stimmt’s?«
    »So etwas würde dein Vater nie tun!« Die alte Frau schüttelte heftig den Kopf. »Er liebt mich seit über fünfzig Jahren. Das weiß ich so sicher wie …«, sie überlegte. »Ach egal, ich weiß es eben. Wir wussten es beide, vom ersten Moment an. Nein, das war nicht er. Dein Vater ist nur ein wenig verwirrt.«
    »Und das?« Er deutete auf einen Bluterguss auf ihrer Wange. »War er das auch?«
    »Ein kleiner Kratzer. Papa wollte Putzmittel trinken, ich habe es ihm weggenommen. Wahrscheinlich hat er nur die Flaschen verwechselt. Er wird sich wieder erholen.«
    Schröder wandte den Kopf ab.
    »Ich wünschte, ich könnte das glauben«, murmelte er. »Bei Gott, das wünschte ich.«
    Seine Mutter sah lächelnd auf ihre Finger. Sie hatte kein Wort verstanden.
    »Er war wirklich fürchterlich durcheinander. Ich habe gleich den Notarzt geholt, in der Aufregung habe ich die Nummern verwechselt und zuerst die Polizei angerufen. Es ist gut, dass er jetzt schläft. Was hat er zu dir gesagt?«
    »Dass es ihm leid tut. Und wir haben über Rüdiger gesprochen.«
    »Hör mir zu.« Sie griff über den Tisch, nahm seine Hände. »Papa gibt dir die Schuld an seinem Tod, aber das stimmt nicht! Rüdiger kam nach deinem Vater, er war ein schöner Mann, er sah aus wie ein amerikanischer Filmstar. Das wusste er, und er hat immer bekommen, was er wollte.«
    »Mama, ich …«
    »Oh, du bist auch ein schöner Mann. Auf deine Art.« Ihr Finger strich sacht über seinen Unterarm. »Rüdiger war ein Draufgänger. Er war der Ältere, du hast immer getan, was er sagte. Ihr hättet nie in dieses Boot steigen dürfen. Es war ein fürchterlicher Unfall.«
    »Es war meine Schuld.« Schröder sprach laut und deutlich, jedes Wort betonend. »Ich bin gerettet worden, Rüdiger nicht.«
    »Ich werde dir das nie ausreden können, oder?«
    Schröder schwieg.
    »Du musst das irgendwann einsehen!« Sie stützte sich mit den Händen auf der Tischplatte ab und stand schwerfällig auf. »Dein Vater hat das alles nie verkraftet, er wusste einfach nicht, wohin mit seinem Schmerz. Aber du? Du warst schon immer der Klügste in unserer Familie.«
    Sie stand vor ihm, er vergrub das Gesicht in ihrem Schoß.
    »Hör auf, dir Vorwürfe zu machen«, murmelte sie. Dann gab sie ihm einen Klaps auf den Rücken. »Jetzt mach ich uns was zu Essen. Dein Vater wird Hunger haben, wenn er aufwacht.«
    »Ich bleibe noch ein bisschen hier.«
    Schröders Stimme wurde durch die Schürze seiner Mutter gedämpft. Er schlang die Arme um ihre knochigen Hüften, sie wiegte ihn sanft hin und her. Dann vibrierte sein Handy. Er machte sich los.
    »Das ist Zorn«, sagte er. »Entschuldige, da muss ich rangehen.«
    *
    »Wie geht’s deinem Vater?«
    »Schlecht.«
    »Kann ich irgendwas tun?«
    »Nein.«
    »Du willst nicht drüber reden, stimmt’s?«
    »Stimmt. Gibt’s was Neues?«
    »Nee.«
    »Warum rufst du dann an?«
    »Hast du eine Ahnung, wo ich Malina finde?«
    »Kannst du dir das nicht denken?«
    »Bei Hermann?«
    »Natürlich. Sie wird ja kaum auf der Straße schlafen.«
    »Weißt du, wo er wohnt?«
    »Du bist Polizist, Chef.« Schröder klang ein wenig ungeduldig. »Auf deinem Schreibtisch steht ein Computer. Muss ich dir wirklich erklären, was du zu tun hast?«
    *
    Das musste Schröder dann doch nicht. Zwanzig Minuten später hatte Zorn die Adresse herausgefunden und war unterwegs in Richtung Innenstadt. Er verspürte nicht die geringste Lust auf ein weiteres Zusammentreffen mit Hermann, vermeiden ließ sich das allerdings nicht, wenn er Malina sehen wollte. Er würde ihn einfach ignorieren, Scheiße, er würde sich sogar entschuldigen, schließlich hatte er wirklich nicht den geringsten Grund gehabt, dem armen Kerl die Nase zu brechen. Wichtig war nur, dass er Malina alles erklären konnte. Das würde er schon irgendwie schaffen.
    Oder?
    Er erreichte den Kreisverkehr am Bahnhof. Links war das Hochhaus, in dem er lebte, rechts, auf der anderen Seite, wohnte irgendwo Hermann. Zorn blinkte, dann wechselte er abrupt die

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