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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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Platte vorsichtig auflegte, ging ihm durch den Kopf, dass Malina noch mit ihm reden wollte. Sie hatte ernst geklungen und noch ernster ausgesehen, das verhieß nichts Gutes. Dann drangen die ersten Töne aus der Bang & Olufsen-Anlage, wurden lauter, Zorn dachte daran, dass er weder diese Musik noch das, was Malina ihm zu sagen hatte, hören wollte, und hoffte gleichzeitig, dass die Musiker noch ihre Instrumente stimmten.
    Mit gerunzelter Stirn und verschränkten Armen stand er vor den Boxen. Ja, er gab sich Mühe, ab und an glaubte er sogar, eine Art Melodie wahrzunehmen, einen Takt, dem er folgen konnte. Doch Sekunden später war es vorbei, er hörte nur Klänge, wirren, unmelodiösen Brei, dazwischen ein eigenartiges, irgendwie vertrautes, schrilles Geräusch. Nein, das war keine Musik, sondern ein Duell der Instrumentalisten, ein Wettlauf, wer in kürzester Zeit die meisten Noten spielen konnte. So sehr er auch wollte, er verstand es nicht.
    Ach, seufzte Zorn resigniert, ich bin wohl zu blöd dazu.
    Ein dissonantes Krachen, dann war der Titel zu Ende. Nicht ganz, denn dieser vertraute Ton stand weiter im Raum. Zuerst dachte Zorn an die Türklingel, dann sah er sein leuchtendes Handy auf dem Couchtisch.
    Er drehte die Lautstärke herunter.
    »Was ist?«
    »Grützner hier«, meldete sich der Anrufer.
    Es dauerte einen Moment, bis Zorn dieser mürrischen Stimme ein Gesicht zugeordnet hatte, dann erschien vor seinem inneren Auge das Bild des stiernackigen Wachtmeisters.
    »Wenn Sie wegen Schröder anrufen«, erklärte Zorn, »ist das ein wenig spät. Er ist vor über acht Stunden wieder aufgetaucht.«
    »Darum geht’s nicht.«
    »Worum dann?«
    »Die Massenkarambolage. Sie hatten eine umfassende Untersuchung angeordnet.«
    Ach, dachte Zorn, hab ich das? Na ja, wenn er’s sagt, wird’s wohl stimmen.
    »Und?«
    »Wir haben uns die Unfallwagen vorgenommen, begonnen haben wir mit dem ersten. Mit dem, der die Karambolage verursacht hat, ein Mitsubishi, Baujahr 2009. Die Kollegen haben ihn auseinandergenommen, Schraube für Schraube, ganz, wie Sie befohlen haben, Herr Hauptkommissar.«
    Irrte sich Zorn, oder hörte er hier einen leicht sarkastischen Unterton?
    »Kommen Sie zur Sache, Grützner!«
    »Der Wagen ist sabotiert worden.«
    »Wie jetzt? Wollen Sie mir erklären, dass die Bremsleitung durchgeschnitten wurde?«
    »Nein. Die Lenkung war manipuliert. Ich will Sie in Ihrer Freizeit nicht mit technischen Details langweilen, Herr Hauptkommissar. Eigentlich wollte ich Ihnen nur mitteilen, dass Sie den richtigen Riecher hatten, ich gratuliere.«
    Wieder dieser schwer zu definierende Tonfall.
    »Sparen Sie sich die Glückwünsche. Was sagt der Fahrer?«
    »Nichts. Er ist nicht auffindbar. Kein Wunder bei dem Chaos, wahrscheinlich ist uns nur ein Fehler bei der Registrierung unterlaufen.«
    Später überlegte Zorn noch lange, was er von all dem halten sollte. Er kam zu keinem konkreten Ergebnis, außer, dass sie jetzt einen weiteren unübersichtlichen Fall hatten.
    Und das bedeutete Arbeit, noch mehr Arbeit.
    *
    »Bist du bekloppt?«
    Die beiden Jungen stritten jetzt seit einer Viertelstunde. Sie trugen weinrote Fußballtrikots, die ihnen viel zu groß waren und fast bis zu den Knien reichten. Der schiefe Bauzaun um das alte Solbad reichte mindestens einen halben Meter über ihre blonden, kurzgeschorenen Köpfe. Sie waren Geschwister, der Kleinere war höchstens acht.
    Sein Bruder, der zweieinhalb Jahre älter war, wies hinter den Zaun. Dahin, wo der Ball irgendwo zwischen faulenden Brettern im Unkraut liegen musste.
    »Du hast ihn rübergeschossen, also holst du ihn auch!«
    Hinter den Bäumen erhoben sich die Mauern des Solbades, die dunklen Fensteröffnungen gähnten wie schwarze Löcher. Augen, die drohend zu ihnen herübersahen. Dort, hinter dem Zaun, war Niemandsland. Der Ort, an dem die Geister wohnten.
    »Ich geh da nicht rein, niemals.« Der Kleine schüttelte heftig den Kopf. »Da drin spuckt’s!«
    »Es spuuuukt, du Nuss!«
    Ihre hellen Stimmen wurden von den Fassaden der gegenüberliegenden Villen zurückgeworfen. Außer ihnen war niemand zu sehen, kein Auto fuhr über die enge, mit Kopfstein gepflasterte Straße.
    Der Große trat dicht an seinen Bruder heran. Die Stollen seiner Fußballschuhe klackten auf dem Pflaster. »Du holst den Ball«, befahl er mit gefährlich gesenkter Stimme, ganz im Bewusstsein der Macht, die er aufgrund seines Alters über den Kleinen hatte. »Das ist ein echter EM-Ball. Papa gibt

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