Zorn - Wo kein Licht
zuvor.
Zorn fühlte sich unbehaglich. Heimlich sah er zum Eingang des Autohauses, fast hoffte er jetzt, dass irgendjemand erschien und dieses Gespräch beendete.
»Ich muss jetzt auf Arbeit«, erklärte er und versuchte, bedauernd zu klingen. Dann ging er los, lief zwischen den Autos in Richtung Präsidium.
»Du bist ein Jäger, stimmt’s?«, rief ihm der Lampenmann nach.
Zorn blieb stehen.
»Wie meinst du das?«
Die Antwort ging im Klingeln seines Handys unter. Er nahm ab. Nachdem er gehört hatte, was passiert war, rannte er los.
Der Lampenmann war vergessen.
*
»Wie spät ist es?«
»Das ist unwichtig, Schröder.«
Zorns Stimme klang anders als sonst, fand Schröder, als käme sie aus weiter Ferne. Das war komisch, denn Zorn musste direkt vor ihm sitzen. Er spürte seine Hand auf dem Unterarm.
Schröder hatte die Augen geschlossen, trotzdem wusste er, wo er sich befand. Da war dieser typische Geruch nach Desinfektionsmittel und frisch gestärkter Bettwäsche, er hörte das leise Piepsen medizinischer Geräte.
Er öffnete die Augen einen winzigen Spalt und erkannte Zorns verschwommene Umrisse, er saß direkt neben dem Krankenbett auf einem Stuhl.
»Im ersten Moment dachte ich, dass ich tot wäre, Chef.«
»Das kann nicht sein, Schröder. Dann wärst du im Himmel gelandet, und ich glaube nicht, dass wir uns dort treffen würden. Jemanden wie mich würde man da nie reinlassen.«
Etwas Neues schwang in Zorns Stimme mit, ein leiser, unbekannter Unterton. Sanft, fürsorglich, etwas nachdenklich, fast weich.
»Du hast eine Gehirnerschütterung. Vielleicht sogar einen Riss im Schädel, der Arzt sagt, sie wollen dich nachher röntgen. Wieso hast du dich gestern nicht sofort untersuchen lassen?«
Zorn war auf seinem Stuhl nach vorn gerutscht, Schröder erkannte jede einzelne Bartstoppel, die meisten waren grau. Im Gegensatz zu dem immer noch schwarzen, vollen Haar. Die Brille ließ Zorn seriöser aussehen, sie wirkte wie ein Fremdkörper in seinem jungenhaften Gesicht. Das Neonlicht spiegelte sich in den Gläsern.
»Was gibt’s da zu grinsen, Schröder?«
»Du machst dir tatsächlich Sorgen um mich.«
»Nee, vergiss es. Ich hab einfach keinen Bock, die ganze Arbeit allein zu machen. Zumal wir jetzt einen zweiten Fall an der Backe haben.«
»Ich fürchte, im Moment bin ich keine große Hilfe, Chef.«
Zorn winkte ab.
»Du brauchst ein, zwei Tage Ruhe, sagt der Arzt. Dann bist du wieder fit. Hast du Schmerzen?«
Schröder lag einen Moment still, als horche er in sich hinein.
»Ich glaube nicht. Aber ich kann mich einfach nicht konzentrieren. Ich weiß noch, dass ich den Obduktionsbericht gelesen habe, dann ist mir schlecht geworden.«
»Du hast ins Waschbecken gekotzt, mein Lieber.«
»Das ist mir peinlich. Aber jetzt weiß ich, woher dieser pelzige Geschmack in meinem Mund stammt.« Schröder spürte, wie er langsam wegdriftete. »Ich sollte mich noch ein bisschen ausruhen.«
Zorn stand auf und knöpfte seine Jeansjacke zu.
»Tu das. Übermorgen erwarte ich dich im Büro. Frisch gestriegelt und gesund, klar?«
Doch da war Schröder schon eingeschlafen.
*
Es dauerte nicht lange, und Zorn verfluchte die Leichtfertigkeit, mit der er Schröder eine Auszeit verordnet hatte. Bereits eine Stunde später wurde ihm schmerzlich bewusst, wie wichtig – nein, unersetzlich Schröder bei den Ermittlungen war.
Die Aktenberge auf Zorns Schreibtisch wurden von Stunde zu Stunde höher. Es gab einen toten Bankangestellten und eine Massenkarambolage mit einem manipulierten Auto, zwei Fälle, die Unmengen an Papierkram produzierten. Zorn erstickte förmlich in Informationen, und obwohl er sich Mühe gab, verlor er immer wieder den Überblick zwischen Zeugenaussagen, pathologischen Berichten und vorläufigen Ergebnissen der Spurensicherung. Seine Aufgabe war es, das Wichtige aus all diesem Wust herauszufiltern, doch damit war er schlichtweg überfordert.
Zorn gab Anweisungen, widerrief sie, allerdings nur, um diesen Widerruf kurz darauf erneut rückgängig zu machen. Die Maschinerie geriet ins Stocken, holperte, als wäre ein wichtiges Relais ausgefallen. Und so war es ja auch, schließlich war es Schröder, der den Apparat am Laufen hielt, wie sich Zorn resigniert eingestand, als er sich am späten Nachmittag aus dem Präsidium stahl. Er fühlte sich wie ein Marathonläufer im Hamsterrad, stundenlang hatte er sich abgestrampelt und war doch keinen Millimeter vorwärts gekommen.
Jetzt sehnte er sich nach
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