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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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Kopf, er erinnert sich an den Gestank, das Kribbeln im Gesicht und den Brechreiz, den die dicke Wolle vor seinem Mund verursachte. Wahrscheinlich ist er im Kofferraum eines Autos transportiert worden, dann wurden ihm die Fesseln abgenommen, wortlos, eine schwere Tür fiel ins Schloss.
    Die Zelle ist höchstens zwei mal zwei Meter groß, bis knapp unter die Decke mit türkisfarbenen, gesplitterten Kacheln gefliest, die Hälfte des Raums wird von einer gusseisernen, vor Schmutz und Unrat starrenden Badewanne eingenommen.
    Niemand hat bisher mit ihm geredet, es gibt keine Erklärung, nur diesen Zettel im gelblichen Kegel der Taschenlampe. Ein paarmal ist er weggedöst, es war kein Schlaf, eher eine Ohnmacht, wahrscheinlich hat man ihm etwas in die zerbeulte Schüssel mit dem Essen getan, Drogen vielleicht, oder ein Schlafmittel. In dieser Zeit sind wohl auch die Batterien gewechselt worden. Anders kann er sich nicht erklären, dass die Lampe noch immer brennt.
    DU WIRST GERICHTET WERDEN.
    Er hat den Zettel abgerissen und zusammengeknüllt, wie oft, weiß er nicht mehr. Jedes Mal, wenn er erwacht, hängt ein neuer da, immer an derselben Stelle, der Kegel der Taschenlampe direkt auf diese vier Worte gerichtet.
    Er liegt in der Wanne, das ist der einzige Platz, an dem er sich ausstrecken kann, der Mantel dient ihm als Decke. Seine alten Knochen sind steif, Kälte und Feuchtigkeit haben die Glieder durchdrungen, zermürbt, regelrecht aufgeweicht wie Sirup ein Stück Würfelzucker. Sein Gesicht ist bläulich angelaufen, er fährt mit der Hand über die unrasierte Wange, fühlt den Schorf auf der rissigen Haut, riecht den Gestank der eigenen Exkremente.
    Der alte Richter schließt die Augen. Neben der Stahltür ist ein Waschbecken an der Wand befestigt, rostiges, stinkendes Wasser tropft aus dem Hahn. Ansonsten ist es still.
    Sinnlos zu schreien. Die Außenwände sind dick, niemand würde ihn hören, das weiß er jetzt. Er ist zu alt, um sich zu wehren, er kann nur warten. Er ahnt, warum er hier ist, natürlich tut er das. Aber er will es nicht wahrhaben.
    Langsam driftet er weg.
    Klack klack.
    Er horcht auf. Da ist etwas anderes. Ein Pochen, es scheint, als komme es aus der Wand. Oder aus einem der Bleirohre, die neben ihm aus den Fliesen ragen.
    Klack klack klack.
    Ein Tier? Eine Ratte? Er richtet sich auf, die Badewanne dröhnt leise, als seine Schuhe das Gusseisen streifen. Er hält den Atem an, lauscht.
    Der Wasserhahn tropft, sonst nichts.
    Klack.
    Da ist es wieder. Er greift nach der Taschenlampe, klopft vorsichtig gegen das Rohr. Einmal. Zweimal. Sofort kommt die Antwort.
    Klack klack.
    Nebenan ist noch jemand. Ebenso gefangen wie er selbst, da ist er sicher.
    Er ist nicht allein.
    Tröstlich ist dieser Gedanke nicht.
    Im Gegenteil.
    *
    Morgengrauen.
    Das Unwetter ist nach Westen abgezogen und mit ihm der Regen. Die letzten Blitze zucken über den Horizont. Die Autobahn ist gesperrt, ein Teil der Fahrbahn steht unter Wasser. Im Dach der Stadtbibliothek klafft ein gähnendes Loch, am Marktplatz ist ein Gerüst eingestürzt, Bauarbeiter räumen Trümmer weg, das Technische Hilfswerk pumpt die Keller in der Altstadt leer. Im schwachen Licht der Straßenlaternen glänzt die Stadt wie ein riesiger, gestrandeter Fisch.
    Die Sonne geht auf. Der verlassene Wohnblock am Rande der Neustadt strahlt im Licht, von den Balkonen tropft das Wasser. Auf dem Fußweg vor dem Hauseingang ist eine große Pfütze entstanden, Zigarettenkippen schwimmen darin und ein zerdrückter Kaffeebecher.
    Die Tür öffnet sich einen Spalt. Ein abgerissen aussehender Mann in einem zerknitterten Mantel erscheint, das blonde, dünne Haar steht wirr von seinem Kopf ab. Er sieht sich um, vorsichtig, seine Augen glänzen fiebrig.
    Knarrend fällt die Tür hinter ihm ins Schloss. Der Mann läuft los. Ein wenig torkelnd, als wäre er betrunken. Er umrundet eine umgekippte Mülltonne, sein Gang wird schneller, sicherer. Noch einmal sieht er sich um, dann verschwindet er um die Ecke in Richtung Innenstadt.
    Jeremias Staal hat einen Plan.
    Er geht nach Hause.

Teil Zwei
    Elf
    Ungefähr zur selben Zeit, als Jeremias Staal sein Versteck verließ, saß der dicke Schröder zu Hause am Küchentisch. Er hatte das Radio angestellt, im Deutschlandfunk lief ein Feature zum zweihundertsten Geburtstag von Giuseppe Verdi. Schröder kaute versonnen auf einem Buttertoast und lauschte der sonoren Stimme des Sprechers.
    Die altmodische Uhr über dem Kühlschrank zeigte auf halb

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