Zorn - Wo kein Licht
Geschirr klappern.
»Ich bekomme selten Besuch«, erklärte de Koop, seine Stimme hallte von den Wänden wider, »außer von meiner Putzfrau. Und Sie?«
»Wie meinen Sie das?«
»Leben Sie allein?«
Zorn verspürte nicht die mindeste Lust auf ein solches Gespräch. Seine Antwort, ein unverständliches Gebrumme, ging im Lärm der Espressomaschine unter.
Kurz darauf erschien de Koop mit einem Tablett und verteilte zwei kleine Porzellantassen, ein Kännchen mit Milch und eine Zuckerdose aus Aluminium auf dem Tisch. Verwundert registrierte Zorn, dass er nur die linke Hand benutzte. De Koop schien diesen Blick zu bemerken, er schob den rechten Ärmel seines Pullovers nach oben.
»Contergan«, erklärte er beiläufig.
Sein Arm endete in einem rosafarbenen, halbrunden Klumpen. Da, wo eigentlich die Hand sein musste, zuckten winzige, wurmartige Stummel. Unwillkürlich sah Zorn zu Boden. Warum, wusste er nicht.
»Ich war wohl einer der Letzten, die’s erwischt hat.«
Zorn rechnete nach. Die Conterganfälle waren Anfang der sechziger Jahre aufgetreten. De Koop musste älter sein, mindestens fünfzig. Irgendwo auf Schröders Zettel hatte ein Geburtsdatum gestanden, er hatte nicht darauf geachtet.
»Tut mir leid«, murmelte er. Im gleichen Moment hätte er sich ohrfeigen können. Was für eine hirnlose, nichtssagende Phrase!
»Das muss es nicht.« De Koop schob den Ärmel zurück. »Früher habe ich eine Prothese getragen. Mittlerweile kann ich damit umgehen.«
Zorn trank von seinem Kaffee. Er schmeckte hervorragend.
»Ich bin hier, weil ich einige Fragen habe.«
»Ja?«
De Koop sah Zorn erwartungsvoll an.
»Im Frühjahr ist ein Prozess gegen Sie geführt worden. Unsere Akten sind leider nicht sehr ausführlich, es ging um Steuerhinterziehung.«
»Um den Verdacht der Steuerhinterziehung.« De Koop lächelte. »Entschuldigen Sie, wenn ich Sie korrigiere, aber diese Spitzfindigkeiten sind in meinem Metier äußerst wichtig.«
Es klirrte leise, als Zorn seine Tasse abstellte.
»Würden Sie mir erklären, worin genau Ihr Metier besteht? Mit Warentermingeschäften kann ich, ehrlich gesagt, nicht viel anfangen.«
»Da sind Sie nicht der Einzige, Herr …«
»Zorn. Hauptkommissar Zorn.«
De Koop dachte einen Moment nach.
»Ich besitze fast ein Dutzend Firmen, sitze in verschiedenen Aufsichtsräten und Gremien und manchmal frage ich mich«, das Lächeln wurde ein wenig breiter, »ob ich selbst noch den Überblick über all das habe, was ich in den letzten zwanzig Jahren aufgebaut habe.«
Natürlich hast du das, dachte Zorn. Du siehst zwar aus wie ein kleiner Junge, aber ich wette, du bist ein verdammt harter Hund, wenn es ums Geschäft geht.
»Die Finanzmärkte sind ein heikles Pflaster«, fuhr de Koop fort. »Wie gesagt: Das, was ich tue, erscheint den meisten Außenstehenden etwas unübersichtlich, aber Sie können mir glauben, dass bei mir alles mit rechten Dingen zugeht. Es gehört ein gewisses Talent dazu, und ich denke, was das betrifft«, de Koop hob den rechten Arm, »habe ich ein glückliches Händchen.«
Der deformierte Stumpf kam zum Vorschein.
Zorn rührte in seinem Kaffee. Die Tasse war leer. Zorns Unbeholfenheit schien de Koop zu amüsieren.
»Ich lebe seit zwanzig Jahren in dieser Stadt«, erklärte er. »Die Menschen sind nett zu mir, jedenfalls die meisten. In den letzten Jahren habe ich eine Menge Geld verdient, mehr, als ich jemals ausgeben kann. Einiges davon habe ich gespendet, ich habe versucht, dieser Stadt etwas zurückzugeben. Weil ich gern hier wohne.«
In diesem Kaff?, dachte Zorn. Du Glücklicher!
»Um was ging es genau bei diesem Prozess?«, fragte er.
De Koop seufzte.
»Geld. Es geht immer um Geld. Reichtum schafft Neid, egal, was man tut. Es fing mit der angeblichen Steuerhinterziehung an, ein etwas übermotivierter Staatsdiener wollte dann noch weitere Hinweise gefunden haben. Ich weiß nicht mehr genau, was das alles war. Organisiertes Verbrechen, Waffenhandel, Bestechung. Der Mann hielt mich für einen Schwerstkriminellen.«
»Sind Sie einer?«
»Ich wurde freigesprochen.«
»Das werden viele. Obwohl sie Dreck am Stecken haben.«
»Herr Hauptkommissar.« De Koop nahm einen silbernen Kaffeelöffel und drehte ihn nachdenklich in der gesunden Hand. »Sie sollten vorsichtig sein. Ich bin ein unbescholtener Bürger. Jeder, der etwas anderes behauptet, wird von mir verklagt. So lange, bis er nicht mehr weiß, ob er Männchen oder Weibchen ist.«
Sie schwiegen einen
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