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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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gerichtet. Trotzdem spürte er, wie sie zurückwichen, die Gesichter veränderten sich, wurden hart, der Mann im Anzug ging auf den Radweg, sah auf die Uhr, das Mädchen flüsterte der Frau etwas ins Ohr, sie zog das Kind zu sich heran.
    Egal. Staal wusste, wie er aussah. Wie er roch.
    Früher hatte er genauso reagiert. Wenn die Penner ihn ansprachen, vor dem Supermarkt oder am Bahnhof, direkt neben dem Taxistand. Ein bisschen Kleingeld wollten sie, mehr nicht. Er hatte weggesehen, das Elend ignoriert. Weil es ihn nicht interessiert hatte.
    Jetzt war es anders. Die Seiten hatten gewechselt, er, Jeremias Staal, war jetzt auf der anderen. Der falschen.
    Er konnte das ändern. Dazu musste er nach Hause. Ausruhen, trinken, essen. Vielleicht ein Bad nehmen. Womöglich wurde die Wohnung beobachtet, sicherlich, sein Verfolger ( der Andere ) konnte dort warten, aber Jeremias Staal hatte keine Wahl. Die Kraft verließ ihn, lange würde er nicht mehr durchhalten.
    Sein Blut war vergiftet.
    Er konnte nicht zum Arzt, aber das war nicht nötig. Er besaß Medizin.
    Zu Hause, er musste nur hinkommen.
    *
    Das Anwesen Elias de Koops lag etwas nach hinten versetzt auf einem Hügel direkt an der Uferpromenade, ein holzverkleideter, dreigeschossiger Designbau, dessen Fassade hinter dicken Eichen aufragte wie ein hypermodernes Schloss.
    In der Auffahrt stand ein goldfarbener BMW X5. Zorn parkte hinter dem bulligen Geländewagen, stieg aus und zündete sich eine Zigarette an. Nebel hing über dem Fluss, zog in dünnen Schwaden den Hügel empor und schwebte zwischen den Bäumen wie Trockeneis in einem alten Horrorfilm.
    Zorn atmete tief ein.
    Es roch nach Herbst. Und nach Geld. Sehr viel Geld.
    Er schnippte die Zigarette fort und lief eine schmale Betontreppe hinauf, feuchtes Laub schmatzte unter seinen Sohlen. Der Eingang wirkte erstaunlich klein, Zorn suchte nach einer Klingel, doch bevor er fündig wurde, öffnete sich die Tür.
    Der Mann war ungefähr in Zorns Alter, doch er wirkte jünger. Er war schlank, das volle Haar war kurzgeschnitten, seine dunklen, fast schwarzen Augen musterten Zorn freundlich, mit unverhohlener Neugier.
    »Kann ich helfen?«
    »Elias de Koop?«
    Ein Nicken.
    Zorn hielt seinen Ausweis in die Höhe, de Koop warf einen kurzen Blick darauf, trat einen Schritt zur Seite und bedeutete Zorn einzutreten.
    »Sie gestatten, dass ich vorangehe.«
    Zorn folgte de Koop in ein Wohnzimmer, das Platz für mindestens drei Sozialwohnungen geboten hätte. Die Rückwand war komplett verglast, dahinter lag eine Wiese, ein einsamer Sonnenschirm verlor sich im Nebel. De Koop deutete auf ein weißes Ledersofa direkt am Fenster.
    »Nehmen Sie Platz. Kann ich Ihnen etwas anbieten?«
    »Nein, danke«, erwiderte Zorn und setzte sich. Das Haus wirkte karg, klinisch rein. Es gab kaum Möbel, keine Bilder an den weiß verputzten Wänden. Der helle Eichenboden glänzte, es roch nach Kaffee und frisch geschälten Orangen. Zorn erinnerte sich an seine Kindheit, genau so hatten die Weihnachtspakete seiner Tante aus Wuppertal gerochen. Trotzdem, er fühlte sich hier nicht wohl. Alles schien genau kalkuliert. Es war zu sauber, zu durchkomponiert.
    De Koop setzte sich in einen Sessel direkt gegenüber. Er trug Jeans und einen dunkelblauen Norwegerpullover. Keine Sekunde ließ er Zorn aus den Augen, seine Aufmerksamkeit galt ausschließlich seinem Besucher.
    »Also, was kann ich für Sie tun?«
    Seine Stimme war sanft, ein angenehmer, wohlklingender Bariton.
    »Ich hoffe, ich bin nicht zu früh«, begann Zorn etwas unbeholfen.
    »Keine Angst.« De Koop lachte, kleine, ebenmäßige Zähne blitzten auf. »Ich bin seit Stunden wach. Das liegt an meinem Beruf.«
    »Darf man fragen, was genau Sie machen?«
    »Das ist ein wenig kompliziert.«
    De Koop deutete auf einen chromglänzenden Schreibtisch an der Wand, über dem zwei große Monitore angebracht waren. Zahlen und ständig wechselnde Grafiken flimmerten darauf.
    »Warentermingeschäfte, hauptsächlich. Das Gute ist, dass ich den größten Teil der Arbeit zu Hause erledigen kann. Allerdings muss ich zu den unmöglichsten Zeiten wach sein. Die Zeitverschiebung an den internationalen Börsen.«
    Zorn setzte zu einer unverbindlichen Antwort an, doch de Koop unterbrach ihn.
    »Wissen Sie was? Ich mach uns einen Kaffee.«
    Er sprang auf und verschwand leichtfüßig hinter der halbhohen, unverputzten Backsteinwand, die mitten durch den Raum verlief und die Abtrennung zur Küche bildete. Zorn hörte

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