Zorn - Wo kein Licht
Zorns Verständnis durchaus sein, vielleicht auch faul, unmotiviert, schließlich war er selbst das beste Beispiel dafür. Aber es gab Regeln, an die sich selbst Claudius Zorn hielt. Eine davon war, keine Gesetze zu brechen (jedenfalls die wirklich wichtigen). Wenn er mit seiner Vermutung richtig lag, hatte Czernyk jedoch genau dies getan. Menschen verschleppt, erpresst, vielleicht sogar getötet.
Und das machte Zorn wütend.
*
Der alte Richter hockte auf dem Wannenrand. Immer wieder wurde sein Körper von Weinkrämpfen geschüttelt, er knetete die Hände im Schoß, sein Kopf wackelte hin und her, als habe er den Verstand verloren.
Das war nicht der Fall, aber er war kurz davor.
Nach dem siebten Schlag hatte es aufgehört. Einfach so. Er hatte mitgezählt, warum, wusste er nicht. Jetzt war er wieder allein, er spürte, dass der andere gegangen war. Doch er würde wiederkommen, irgendwann. Bald.
Seine Lippen bewegten sich, leise murmelte er vor sich hin, unverständliche, wirre Worte, ein monotones, irgendwie kindliches Reuegebet. Eine Beichte über die Schuld, die er auf sich geladen hatte und nun begleichen musste.
Er hatte alles geplant gehabt, seit Jahren schon. An seinem fünfzigsten Geburtstag hatte er beschlossen, nach seiner Pensionierung auf Ibiza zu leben. Nach einigem Suchen hatte er sich für eine kleine Eigentumswohnung in einer deutschen Ferienanlage mit Blick aufs Meer entschieden. Er musste keine Schulden machen, seine Pension würde reichen, um ein gutes Leben zu führen. Nicht fürstlich, aber sorgenfrei.
Bis vor ein paar Monaten war das sein Plan gewesen.
Dann hatten sie ihm das Geld geboten, so unglaublich viel, dass er sich plötzlich eine Villa leisten konnte. Kein kleiner Balkon, sondern eine Terrasse, direkt an einem Hang über dem Meer, er würde am Pool liegen, Rotwein trinken und diese unglaublichen Farben bei Sonnenuntergang beobachten, jeden Abend, ein Glas Wein in der einen und eine Zigarre in der anderen Hand.
Nie wieder Winter, hatte er gedacht. Nie wieder Kälte, Nässe, Regen.
So, genau so hatte er sich die letzten Jahre seines Lebens vorgestellt.
Ein Irrtum.
Jetzt ging es nicht um Jahre, sondern um Stunden, womöglich blieben ihm nur Minuten.
»Ich bereue es«, flüsterte er. »Ich hatte genug, mehr als genug, doch es hat mir nicht gereicht. Es war die Gier, diese Sucht, alles haben zu müssen. Das, was die Menschen umtreibt, sie zu Verbrechern macht. Ich dachte, ich wäre dagegen immun. Jetzt soll ich dafür bezahlen. Und ich würde alles tun, um es ungeschehen zu machen, alles.«
Er stand auf, nahm die Decke und schlang sie fest um die Schultern.
Tief in seinem Herzen war da noch ein winziges Fünkchen Hoffnung. Dass er vielleicht gerettet wurde, dass er dies alles überleben konnte. Ein letzter Rest Zuversicht.
»Ich bereue es«, wiederholte er leise.
Es würde ihm nichts nutzen.
*
Die Tür zur Nebenzelle war aufgebrochen. Der Mann dahinter lag auf dem Rücken. Er trug einen dunklen Anzug, das linke Hosenbein war hochgerutscht, der blaue Kniestrumpf passte farblich nicht ganz zu den braunen Stiefeletten. Seine linke Hand umklammerte ein kurzes Stück Bleirohr, zuerst hatte er es benutzt, um sich mit dem Richter zu verständigen. Als der andere in die Zelle kam, hatte er kurz versucht, sich mit dem Rohr zu verteidigen, aber er hatte keine Chance gehabt. Der alte Richter nebenan hatte gehört, wie er durch die Zelle gerannt war, seine Angstschreie, doch es war schnell vorbei gewesen.
Schon der erste Schnitt hatte seine Kehle sauber durchtrennt, präzise, fast chirurgisch, quer durch die Luftröhre. Er hatte nicht einmal mehr schreien können, ein blubberndes Stöhnen war das letzte Geräusch, das er in seinem Leben von sich gegeben hatte.
Die Blutlache um seinen Kopf versickerte langsam im Staub, sie wirkte wie ein trüber Heiligenschein. Sein Gesicht war zur Seite gerichtet, an der Wand hing ein Zettel, ähnlich wie der in der Zelle des Richters. Doch der Inhalt war anders.
ANWÄLTE VON VERBRECHERN ENDEN WIE VERBRECHER.
Er hatte den Zettel immer und immer wieder gelesen, es dauerte, bis er endlich verstand. Da hatte er allerdings nur noch ein paar Stunden zu leben gehabt, und als es dann so weit war, hatte es nicht lange gedauert.
Schwarzes, geronnenes Blut bedeckte seine Wangen. Da, wo die Augen gewesen waren, gähnten dunkle Löcher, eine weißliche Flüssigkeit schimmerte in den leeren Höhlen. Trotzdem wirkte er im Tod überrascht, fast erstaunt, als
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