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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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ließ ihn zusammenfahren. Sein Kopf schlug gegen den Rand der Badewanne, stöhnend richtete er sich auf. Die Taschenlampe fiel herunter, er tastete neben sich über den Boden, sie lag auf etwas Weichem, Dunklem. Einer Decke. Er hob sie auf, wickelte den mageren Körper in die dünne Wolle, seine Finger waren steifgefroren, der Frost hatte sich durch seine Knochen gefressen wie Rost durch altes Metall.
    Es polterte wieder, der Richter legte das Ohr an das Heizungsrohr, erschauerte, als das kalte Metall seine Haut berührte. Lauschte. Es schien, als würde nebenan etwas Schweres über den Boden geschleift, er glaubte, Stimmen zu vernehmen, unterdrückte Schreie. Ein Kampf? Oder hatte man sie gefunden? War das die Polizei? War der, der nebenan lag, endlich entdeckt worden, jetzt, nach all der langen Zeit?
    »Hallo? Ist da jemand?«
    Seine Stimme, nicht mehr als ein Flüstern. Die Worte schwirrten wie Schmetterlinge durch die enge Zelle, prallten gegen die Mauern, zerplatzten in einzelne Silben, fielen zu Boden und lösten sich in der kalten Luft, als wären sie nie ausgesprochen worden.
    Hilfe. Er brauchte Hilfe.
    Der Richter nahm die Lampe und klopfte. Vorsichtig zunächst, dann schneller, lauter. Die Schläge hämmerten gegen das Rohr, die Lampe vibrierte in seinen Händen, sie würde kaputt gehen, egal, das Metall war stabil, nebenan war die Rettung, er musste sich bemerkbar machen, sonst würden sie gehen, ohne ihn gefunden zu haben. Die Decke löste sich von seinen Schultern, er achtete nicht darauf, jetzt war ihm warm, er klopfte weiter, immer weiter. Die Lampe flimmerte, erlosch.
    Es wurde dunkel.
    Er stöhnte auf, schüttelte die Lampe, nichts. Noch einmal, endlich, ein Flackern, das Glas war gesplittert, doch sie funktionierte wieder. Der Lichtstrahl fiel auf seine Handfläche, die Haut war gerötet, die Abdrücke des geriffelten Metalls deutlich zu erkennen.
    Er wartete, bis sein Atem sich etwas beruhigt hatte, lehnte den Kopf an das Rohr. In den letzten Jahren hatte sein Gehör merklich nachgelassen, er konzentrierte sich, das Blut rauschte in seinem Schädel, ja, das hörte er deutlich, ansonsten war da nichts.
    Gar nichts, absolute Stille.
    Und jetzt?
    Die Tür. Sie war dick, schluckte jedes Geräusch. Er hatte es versucht, es musste Tage her sein, da hatte er mit aller Kraft dagegen geschlagen, kurz nachdem er zum ersten Mal zu sich gekommen war. Genutzt hatte es nichts, am Ende hatten nur seine Fäuste geblutet. Doch er musste es noch einmal probieren. Sofort.
    Er stieg aus der Wanne, sein rechtes Knie knackte, es klang, als würde ein trockener Zweig brechen. Langsam ging er zur Tür. Hob die Hand, ließ sie wieder sinken.
    Nein.
    Die Gewissheit kam aus dem Nichts, traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht.
    Urplötzlich wurde ihm klar, dass er sich geirrt hatte. Dort, auf der anderen Seite, war etwas Dunkles, Bedrohliches. Keine Beamten in Uniform, keine Zivilfahnder, keine Sanitäter, die ihn ins Krankenhaus bringen und versorgen würden. Es war nur ein Gefühl, doch die Gefahr, die von dieser Tür ausging, war real, fast mit Händen greifbar. Ebenso wie die Ahnung, dass er hier, in der Zelle, sicherer war als draußen. Solange die Tür verschlossen blieb.
    Der Richter wich zurück, zwei Schritte, er zuckte zusammen, als seine Waden gegen den kalten Wannenrand stießen. Fast wäre ihm die Taschenlampe aus den zitternden Händen geglitten, im letzten Moment hielt er sie fest. Der Strahl fiel auf die Wand gegenüber.
    NOCH EIN PAAR STUNDEN, MEHR NICHT.
    Das hatte schon vorher auf dem Zettel gestanden. Wann hatte er es gelesen? War es jetzt soweit? Wurde er jetzt gerichtet, was auch immer damit gemeint war?
    Er hielt die Lampe mit beiden Händen fest umklammert, geradewegs auf die Tür gerichtet. Wie eine Waffe, obwohl sie geradezu lächerlich klein war. So stand er da, wie ein Fechter in Angriffsstellung, die Zeit verging, seine Arme wurden schwer und dann, als er sich fragte, ob er sich das alles nur eingebildet hatte, ob er jetzt, nach all der Zeit, auch noch den Verstand verlor, sah er, wie sich etwas veränderte.
    Die Klinke.
    Sie bewegte sich langsam nach unten.
    *
    »Wir müssen ihn suchen lassen, Frau Borck.«
    Das Büro der Staatsanwältin lag im Halbdunkel, sie hatte das Licht nicht eingeschaltet. Zorn lehnte neben der Tür, es war das dritte Mal, dass er sie ansprach. Bisher hatte sie noch nicht reagiert.
    »Egal, ob er in den Fall verwickelt ist oder nicht«, fuhr er fort, als sie noch immer nicht

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