Zorn - Wo kein Licht
antwortete, »zumindest ist er ein wichtiger Zeuge.«
Frieda Borck saß mit dem Rücken zum Fenster, ihr Gesicht schimmerte fahl in der Morgendämmerung.
»Hören Sie mir überhaupt zu?«
Die Staatsanwältin senkte den Kopf, eine Bewegung, die Zorn als Nicken deutete.
»Ich weiß, dass das nicht einfach für Sie ist. Ihre persönlichen Verbindungen zu Czernyk gehen mich nichts an und …«
»Allerdings.«
Sie klang müde, heiser, wie eine übernächtigte, alte Frau. Zorn, der sich bisher alle Mühe gegeben hatte, ruhig zu bleiben, wurde ungeduldig.
»Wir können nicht einfach rumsitzen und warten!«
Flackernd erwachten die Neonlampen zum Leben, Zorn war mit dem Rücken an den Lichtschalter gekommen. Frieda Borck hob die Hand vors Gesicht.
»Machen Sie das aus!«
Zorn sah ihre verweinten Augen, die geschwollene Nase, das wirre, ungekämmte Haar.
»Ausmachen!«
Er gehorchte.
»Hören Sie, Frau Borck. Ich weiß, wie schwer das für Sie sein muss.«
»Einen Scheiß wissen Sie, Zorn.«
»Wann haben Sie zuletzt mit Czernyk gesprochen?«
Sie holte zitternd Atem.
»Vorgestern Nacht. Wir hatten Streit. Ich habe ihn rausgeworfen. Er ist gegangen, ich habe keine Ahnung, wohin.«
»Was haben Sie dann getan?«, fragte Zorn vorsichtig.
»Ich habe versucht, ihn zu erreichen. Sein Handy ist aus.«
»Und jetzt?«
»Jetzt will ich, dass Sie mich in Ruhe lassen. Verschwinden Sie, Zorn.«
»Okay.« Er legte die Hand auf die Türklinke. »Es ist Ihre Entscheidung. Ich kann Ihnen nicht vorschreiben, was Sie zu tun haben.«
»Sie hätten sich den Gang zu mir sparen können.«
Die Staatsanwältin hielt ein weißes DIN-A4-Blatt in die Höhe. Zorn ahnte, was es war.
»Was ist das?«, fragte er trotzdem.
»Der Fahndungsbefehl gegen Jan Czernyk.«
Zorn nickte und wandte sich zum Gehen. Sie hielt ihn zurück.
»Und noch etwas. Grüßen Sie Hauptkommissar Schröder von mir.«
»Warum tun Sie das nicht selbst?«
»Weil wir uns eine Weile nicht sehen werden. Ich gebe den Fall ab.«
*
Er konnte die Augen nicht abwenden.
Wie gebannt starrte er auf die Tür, sah, wie die Klinke sich langsam bewegte. Die Zeit war aus den Fugen, es gab nur noch ihn, den alten, nach Schweiß und Erde stinkenden Richter mit dem dreckigen, wirr in die Stirn hängenden Haar. Und dieses geschwungene, angerostete Eisenstück, das sich senkte, wieder hob, wie in Zeitlupe. Dazu ein leises Quietschen, das Schleifen von Metall auf Metall.
Er hat den Schlüssel, fuhr es dem Richter durch den Kopf. Er muss doch nur aufschließen! Es gehört zu seinem Plan, er weiß, dass ich hier stehe und mir vor Angst fast in die Hose mache, er will mich mürbe machen und …
BUMM!!!!
Die Tür erzitterte in den Angeln, der Schlag war so laut, als wäre eine Bombe detoniert. Der Richter erschrak, machte einen regelrechten Satz nach hinten, keuchte. In der Zelle schien keine Luft zum Atmen mehr zu sein. Dann wurde ihm übel, er spürte die Erschütterung im Magen.
BUMM!!!!
Putz rieselte von den Wänden. Dem Richter entfuhr ein krächzender Schrei, sein Herz setzte aus, eine Sekunde, zwei, dann hämmerte es mit zehnfacher Wucht weiter. Er war nicht sicher, doch er glaubte zu sehen, wie sich das Türblatt nach innen wölbte. Es mussten tonnenschwere Lasten sein, die mit unglaublicher Kraft von außen gegen die dicke Stahltür donnerten.
Zitternd stand er da, er spürte die Wand im Rücken, wartete auf den nächsten Schlag, darauf, dass die Tür aus den Angeln fliegen würde wie ein morsches Stück Holz, es konnte nicht mehr lange dauern.
BUMM!!!!
Der alte Richter begann zu weinen. Tränen strömten über sein verschmutztes Gesicht, er schloss die Augen, die Taschenlampe entglitt seinen Händen.
Jetzt holt er mich. O Gott, hilf mir. Er holt mich.
*
Zorn spürte etwas in seinem Magen rumoren, als er über den langen Flur zurück ins Büro trabte. Ein schlechtes Gewissen? Vielleicht. Nein, eher nicht, er hatte zwar gesehen, wie schlecht es der Staatsanwältin ging, doch durfte dies, fand Zorn, nicht sein Problem werden. Sie tat ihm leid, kein Zweifel. Doch das, was Frieda Borck mit Jan Czernyk verband, musste außen vor bleiben, es ging einzig und allein darum, herauszufinden, was passiert war.
Oder waren es Zweifel? Natürlich hatte er die, es gab ein paar Indizien gegen Czernyk, mehr nicht. Aber er würde der Sache nachgehen. Punkt, aus.
Nein, es war etwas anderes.
Czernyk war Polizist, ein Bulle, ebenso wie Zorn. Träge durfte man in diesem Beruf nach
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