Zorn
sowieso noch keinen leisten«, erklärte Lucas.
»Ihr von der Streife kennt alle Crackfreaks«, sagte Anderson. »Da müsste doch ein Computer zum Einkaufspreis drin sein.«
»Selten so gelacht.«
»War ein Scherz.«
Obwohl Lucas ihm das nicht glaubte, hielt er den Mund und beobachtete Anderson bei der Arbeit.
Fünf Minuten später hatte Anderson einen Namen und eine Adresse: »Ist ein Postfach.«
»Scheiße.« Das wusste sogar ein Anfänger wie Lucas.
»Die Post kennt Namen und Adresse des Postfachinhabers«, erklärte Anderson. »Aber Kreditkartengesellschaften akzeptieren normalerweise keine Postfachadressen. Haben die Nutten ihr Geld gekriegt?«
»Angeblich schon«, antwortete Lucas.
»Hm. Irgendwas stimmt da nicht.«
Bei der Post wurde rund um die Uhr gearbeitet, sieben Tage die Woche. Der Vordereingang war geschlossen, also ging Lucas zum Ladebereich am hinteren Ende und zeigte seinen Dienstausweis zwei Männern, die Segeltuchsäcke von einem Laster warfen. Einer von ihnen holte einen Angestellten der Verwaltung aus dem Gebäude.
»Das kann ich Ihnen nicht sagen«, erklärte der Angestellte, ein korpulenter, kleingewachsener Mann mit von vielen Nachtschichten bleicher Haut. »Das ist vertraulich.«
»Zwei Mädchen werden vermisst …«
»Tut mir leid, aber Vorschrift ist Vorschrift. Kommen Sie mit einem Durchsuchungsbefehl wieder, und zeigen Sie den dem Postmeister.«
»In der Zwischenzeit bringt der Kerl die beiden vielleicht um«, entgegnete Lucas.
»Die Vorschriften besagen …«
»Dann geben Sie mir die Nummer des Postmeisters«, bat Lucas.
»Das geht nicht. Es ist mitten in der Nacht.«
Lucas merkte, dass es dem Mann Spaß machte, es einem Cop zu zeigen. Möglicherweise existierte ja eine Vorschrift, die es untersagte, die Namen von Postfachinhabern herauszugeben, aber es gab mit Sicherheit kein Gesetz, das es verbot, den Postmeister anzurufen, und sei es mitten in der Nacht.
Lucas trat näher an den Angestellten heran. »Irgendwie beschaffe ich mir die Adresse von dem Postfachinhaber. Falls die Mädchen umkommen sollten, informiere ich die Presse über dieses Gespräch und hänge Ihnen die Sache an. Und wenn die Leichen der Mädchen gefunden werden, versammeln sich die Reporter vor Ihrem Haus und fordern Ihren Kopf.«
Der Mann wurde rot. »Sie können mir nicht drohen. Die Vorschriften …«
Lucas trat noch näher. »Die Vorschriften besagen nicht, dass Sie den Postmeister nicht aus dem Bett holen dürfen, oder?«
»Auf Ihre Verantwortung«, herrschte der Mann ihn an.
»Egal, was Sie machen, Sie haben die Arschkarte gezogen«, entgegnete Lucas.
»Warten Sie hier«, sagte der Angestellte und verschwand im Postamt.
Einer der Männer, die den Laster entluden, bemerkte: »Er ist ein Arschloch. Das ist sein Job.«
»Mag sein, aber für solche Spielchen habe ich keine Zeit«, knurrte Lucas.
Eine Minute später kehrte der Angestellte zurück. »Ich hab den Chef am Apparat.«
Lucas sprach mit dem Chef, der ihm mitteilte: »Ausnahmsweise bin ich bereit, gegen die Datenschutzbestimmungen zu verstoßen, weil es sich um einen Notfall handelt, aber ich brauche etwas Schriftliches von Ihrem Vorgesetzten, damit ich was für die Akten habe.«
»Das kriegen Sie«, versprach Lucas.
»Geben Sie mir noch mal Gene.«
Zehn Minuten später verließ Lucas das Postamt mit der gewünschten Information: John Fell wohnte in der Sixth Street SE in Minneapolis. Und in fünf Minuten würde über St. Paul die Sonne aufgehen.
In seinen Anfängen bei der Polizei, zuerst auf Streife, dann im Drogendezernat, hatte er das Gefühl gehabt, rasend schnell zu lernen: über die Regeln der Straße, das Leben, den Tod, Sex, Liebe, Hass, Angst, Dummheit, Eifersucht, Zufall und all die anderen Dinge, die Bürger mit der Polizei in Kontakt brachten.
Dann hatte die Lerngeschwindigkeit abgenommen. Er hatte weiter Informationen gesammelt, Gesichter und Handlungen zu deuten gelernt, aber lange nicht mehr so schnell wie in den ersten zehn oder zwölf Monaten seiner Tätigkeit als Polizist.
Bei den Ermittlungen jetzt war das Gefühl, große Sprünge zu machen, wieder da: Kreditkartennummern per Computer zu recherchieren, fand Lucas cool. Nutten zu manipulieren. Angestellte zu bedrohen. Noch war er ziemlich unbeholfen, das wusste er, aber das würde sich ändern.
Einige Minuten später lernte er, was es hieß, enttäuscht zu werden.
Bei der Adresse in der Sixth Street handelte es sich um ein heruntergekommenes
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