Zorn
zu Lucas. »Spüren Sie ihn auf.«
»Ich muss um drei wieder Streife fahren …«
»Darum kümmere ich mich schon. Sie arbeiten jetzt erst mal für mich«, erklärte Daniel. »Finden Sie den Kerl.«
Lucas nickte. »Aber …«
»Reden Sie mit den Leuten vom Sozialamt. Wir brauchen eine Beschreibung …«
»Ich habe eine Beschreibung. Er lebt auf der Straße und dribbelt ständig mit einem Basketball rum«, sagte Lucas. »Die Nachbarn haben ihn damit gesehen. Meines Wissens ist das der einzige Penner, der so was macht. Das hilft der Streife vielleicht weiter.«
»Okay.« Daniel nickte und wandte sich an Lester: »Wir brauchen Leute, die das Flussufer abgehen. Wenn er sie umgebracht hat, könnte er sie hier deponiert haben. Er kennt die Gegend. Außerdem müssen wir die Kartons auf Blutspuren überprüfen und die alten Abwasserkanäle unten am Wasser nach Höhlen und Ausbuchtungen absuchen … wir müssen das gesamte Flussufer durchkämmen.«
»Was ist mit dem Vater der Kinder?«, wollte Lucas wissen.
»Was soll mit ihm sein?«, fragte Daniel.
»Nimmt sich den jemand genauer vor?«
»Ja«, antwortete Daniel. »Zerbrechen Sie sich darüber mal nicht Ihren hübschen Kopf. Treiben Sie jemanden auf, der weiß, wo der Penner steckt.«
»Den Mädchen ist nicht mehr zu helfen«, stellte Lester fest.
»Vielleicht doch«, erwiderte Daniel. »Es gab da einen Fall, wo ein Kerl ein entführtes Mädchen ans Klo gekettet und es erst nach einer Woche umgebracht hat.«
»Ja, aber das ist die Ausnahme«, sagte Malone und riet Lucas: »Geben Sie mal lieber Gas bei der Suche.«
Druck.
Lester grinste Lucas an: »Das Leben ist nicht gerecht, was?«
Als Lucas sich von den Kollegen verabschiedete, war seine Kleidung schmutzig und er müde – zweiundzwanzig Stunden zuvor hatte er leidenschaftlichen Sex gehabt, danach war er Streife gefahren und hatte bis zum frühen Morgen an Türen geklopft … und jetzt hatte er den Eindruck, von Daniel beurteilt zu werden.
Der Druck gefiel ihm.
Doch gebremst zu werden gefiel ihm nicht . Er war den größten Teil seines Lebens Eishockeyspieler gewesen und kannte das Gefühl, nicht ganz auf der Höhe zu sein. Und wenn man sich so fühlte wie in Watte gepackt, stand einem ein schlechtes Spiel bevor.
Zum Glück gab es Mittel dagegen. Statt gleich in die Stadt zu fahren, machte Lucas den Umweg nach Hause, gönnte sich eine schnelle Dusche und wusch sich die Haare. Während sie trockneten, ging er zur Küchenzeile seiner Wohnung und holte einen Schraubenzieher aus einer Schublade, um damit eine Fußleiste am Eingang zu lösen und ein bernsteinfarbenes Arzneimittelfläschchen hervorzuholen, das er sich auf der Straße besorgt hatte. Er schüttelte zwei Dexedrine-Tabletten heraus, steckte eine in den Mund und schluckte sie.
Dann befestigte er das Brett wieder und nahm die andere Pille mit ins Schlafzimmer, wo er ein blaues Oxford-Hemd, Chinos und einen blauen Blazer anzog. Die zweite Tablette schob er in die Hemdtasche: Drei machten zu wach, aber eine oder zwei waren okay. Als er zum Jeep zurückkehrte, spürte er bereits, wie sich seine Lebensgeister wieder regten.
In den folgenden Stunden arbeitete er sich durch vier Wohlfahrtsorganisationen und traf niemanden, der einen Penner mit Basketball kannte. Lucas hatte den Eindruck, dass der größte Teil der Sozialarbeit in Büros verrichtet wurde und die Leute, mit denen er sich unterhielt, kaum Kontakt zum Geschehen auf der Straße hatten.
Anschließend fuhr er in die Zentrale und funkte von dort aus Streifenwagen an, die nach dem Verdächtigen Ausschau hielten. Am Ende fand er zwei Polizisten, die sich daran erinnerten, ihn einmal gesehen zu haben.
Sie waren sich einig, dass er sich für gewöhnlich in der Gegend um den Fluss herumtrieb, zwischen der I-94-Brücke und der Marshall-Lake-Brücke im Süden.
»Könnte sein, dass er irgendwo an den Eisenbahngleisen hinter Brackett Park schläft, aber dort haben wir keine Spur von einem Lager gefunden. Vielleicht ist er abgehauen«, sagte einer der Cops.
In der Mittagspause ging Lucas zur Hennepin Avenue, hauptsächlich, um von den Verwaltungsmenschen in der City Hall wegzukommen und ungestört nachdenken zu können.
Er nahm eine Akte mit Verhaftungsberichten mit, in denen Obdachlose vorkamen: Der Gesuchte war so vollständig von der Bildfläche verschwunden, dass Lucas ihn im Gefängnis wähnte. Wenn seine Vermutung stimmte, würde es für alle Beteiligten peinlich werden. Also musste er das
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