Zorn
überprüfen …
Er blätterte gerade bei einem Cheeseburger im Henry’s, einem schäbigen Lokal, in einer Zeitung, ohne etwas Interessantes darin zu entdecken, als plötzlich jemand sagte: »Herrgott, jetzt lassen sie schon Cops hier rein.«
Ein schmaler Mann mit zerzausten blonden Haaren und enger, abgewetzter Jeans grinste Lucas vom Eingang aus an.
Lucas erhob sich halb zur Begrüßung.
»Ich war bei eurem Konzert im Seventh Street. War großartig.«
»Ich hab dich im Publikum gesehen …« Der Mann lachte. »Beim Tanzen. Hat mich an einen Bären auf dem elektrischen Stuhl erinnert.«
»Hey … ich bin ein Naturtalent.«
Dave Pirner war der Leadsänger der Band Soul Asylum und einige Jahre jünger als Lucas, der ihn während des Studiums in den Rockclubs der Hennepin Avenue in Minneapolis kennengelernt hatte.
Pirner schlüpfte in die Nische zu Lucas. »Was treibst du so?«
»Ich arbeite an dem Fall mit den vermissten Mädchen«, antwortete Lucas. »Vorerst zivil.«
»Ich hab von den Mädchen gelesen«, sagte Pirner und winkte eine Kellnerin heran. »Sind sie abgehauen oder entführt worden?«
»Ich glaube, entführt. Es gibt auch die Vermutung, dass sie in den Fluss gefallen sind.« Als Pirner verächtlich schnaubte, nickte Lucas. »Finde ich auch.«
Die Kellnerin trat an ihren Tisch und sah Pirner an. »Deine Haare gefallen mir.«
Lucas mischte sich ein: »Danke fürs Kompliment, die hab ich mir selber geschnitten.«
Sie verdrehte die Augen, und Pirner bestellte grinsend ein Grain Belt. »Geht auf seine Rechnung.«
»Ich zahle kein Grain Belt«, entgegnete Lucas. »Bringen Sie ihm ein Leinie’s.«
Beim Bier unterhielten sie sich über Prince und Purple Rain , über Morris Days Fehde mit Prince und über den Aufstieg von Madonna.
Pirner erzählte Lucas, dass Prince mit seinem Gefolge im Seventh Street gewesen sei. »Er hatte einen riesigen Bodyguard dabei.« Er finde Prince interessant, für Lucas sei seine Musik aber vermutlich nichts. Und er erwähnte, dass er an einer Wiederauflage des ersten Soul-Asylum-Albums arbeite.
Lucas berichtete ihm im Gegenzug von den Ermittlungen im Fall der vermissten Mädchen.
»Keine Verdächtigen?«
»Ich versuche gerade, jemanden aufzuspüren«, antwortete Lucas und beschrieb ihm den Schizophrenen mit dem Basketball.
Pirner beugte sich über den Tisch und deutete mit dem Hals der Leinie’s-Flasche auf Lucas. »Da ist diese Kleine … Wie heißt sie noch gleich? So eine Art Groupie.«
»Groupie von wem?«
»Von uns, du Trottel.«
»Jetzt ist klar, dass du lügst …«
»Karen … Sie hat blaue Haare und macht Sozialarbeit für eine Stiftung oder so was. Die kennt alle Penner in Minneapolis, weil sie praktisch bei denen lebt.« Er schnippte mit den Fingern. »Karen Foster. Oder Frazier oder so ähnlich. Frazier, ich bin mir ziemlich sicher. Hat blaue Haare und ist bei jeder Show dabei.«
Lucas notierte den Namen auf einem Zettel. »Ich rede mit ihr. Etwas anderes haben wir nicht.«
»Sie kennt den Typen bestimmt«, sagte Pirner.
Sie tranken ein zweites Bier; Pirner wies Lucas auf das nächste Konzert hin, und Lucas versprach zu kommen. Pirner wollte sich mit Freunden bei Rifle Sport zum Schießen treffen und fragte Lucas, ob er Lust habe mitzumachen.
»Geht nicht, ich muss weiterermitteln«, antwortete Lucas, stand auf, zahlte und verabschiedete sich von Pirner, der die Kneipe verließ.
Lucas ging nach hinten, wo sich ein öffentliches Telefon befand, um herumzutelefonieren, bis er jemanden aufspürte, der ihn informierte, dass Karen Frazier für Lutheran Social Services arbeitete.
Lucas ließ sich die Adresse geben und machte sich auf den Weg.
Eine Frau von Lutheran Social Services teilte Lucas mit, dass Karen Frazier gerade auf der Straße unterwegs sei. Als Lucas nachhakte, fragte sie Kollegen, die ihr sagten, Karen Frazier habe vorgehabt, in einem Asia-Supermarkt in St. Paul vor einer Gruppe von Hmong-Frauen über kulturelle Gewalt zu sprechen.
Das Xiong’s befand sich an der University Avenue, einem slumartigen Viertel mit alten Läden und kleinen Werkstätten, das gerade dabei war, sich zu einer Einkaufsmeile für die Hmong zu entwickeln. Das Xiong’s war zuerst ein Drugstore gewesen, dann ein Secondhandshop, hatte anschließend leer gestanden und war jetzt ein Supermarkt, in dem es für Lucas’ Westlernase merkwürdig roch. Er sah Karen Frazier in einer Gruppe von Hmong-Frauen.
Lucas war mindestens dreißig Zentimeter größer als alle
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