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Zorn

Zorn

Titel: Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Sandford
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achtzig groß, hatte einen langen, vor der Zeit grauen Bart und fahlblaue Augen. Er war sehr schlank, und als er sich gegen die Polizisten wehrte, traten die Sehnen an seinen Armen hervor. Lucas zückte die Handschellen, und gemeinsam drehten sie dem kreischenden und um sich schlagenden Scrape die Arme auf den Rücken und legten sie ihm an. Dabei stieg Lucas der Geruch von Scrape in die Nase, eine merkwürdige Mischung aus Rauch, ranziger Butter und Schmutz.
    Als Lucas ihn abtastete, entdeckte er ein leeres Plastiktütchen, in dem sich möglicherweise einmal Marihuana befunden hatte. Hanson, dessen Blick auf ein Fleischermesser in Lederscheide auf einem wackeligen Tischchen neben dem Bett fiel, sagte: »Messer, da drüben.«
    Sie atmeten alle schwer, der kreischende Scrape mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden. Daniel sah sich auf der Suche nach etwas, das mit den Mädchen in Verbindung stehen könnte, in dem Raum um. Nichts. Daniel schüttelte den Kopf. »Bringen wir ihn aufs Revier.«
    Sloan und Hanson halfen Scrape auf die Beine, und Sloan wischte sich das Hemd ab und sagte mit leiser Stimme: »Rück sie raus, wenn du sie noch hast. Damit wäre allen geholfen.«
    »Wen?«, fragte Scrape.
    Lucas würde sich noch lange an seinen Tonfall erinnern, an seine tiefe Verwirrung.
    Sloan redete weiter auf Scrape ein wie auf ein nervöses Pferd, während er und Hanson ihn zur Tür hinausführten.
    Daniel sah Lucas an. »Wir hatten keine Zeit für einen Durchsuchungsbefehl. Der ist nötig, wenn wir uns den Raum vornehmen wollen.«
    Lucas blickte sich um: ein Zimmer, ein Bett, eine Kommode, ein Nachtkästchen und ein Holztisch sowie ein Stuhl, die möglicherweise aus der Altmöbelsammlung stammten. Auf dem Nachtkästchen lag ein Schlüsselring mit mehreren Schlüsseln. Ein oben offener Rucksack, vollgestopft mit Klamotten, und ein Basketball, mitten auf dem Boden. Abgesehen von der Tür zum Flur gab es noch zwei weitere: Eine stand halb offen, so dass man in eine leere Kammer hineinschauen konnte, die andere führte zu einem kleinen Bad.
    Lucas fragte Daniel: »Ist es okay, wenn ich pinkeln gehe?«
    »Wenn Sie nirgendwo Blut sehen und unbedingt müssen …«
    Lucas betrat die Toilette, schloss die Tür und warf einen Blick ins Medikamentenschränkchen – es war leer – sowie in die Nasszelle, in der sich lediglich ein kleines Stück Seife befand. Kein Rasierschaum, nicht einmal Zahnpasta. Auf der Ablage hinter dem Waschbecken lag eine Rolle ungewachster Zahnseide.
    Lucas betätigte die Spülung und verließ die Toilette. Daniel hatte mittlerweile Zeit gehabt, unbeobachtet die Kammer zu inspizieren, unters Bett, in die Kommode und in das Nachtkästchen zu schauen. Die Kleidung in dem Rucksack war herausgenommen und wieder hineingestopft worden.
    »Holen Sie das Messer, und dann gehen wir. Die Kollegen sollen sich seinen Rucksack ansehen«, sagte Daniel.
    Also hatte er nichts gefunden.
    Lucas nickte, nahm das Messer und die Schlüssel vom Nachtkästchen, wählte den am neuesten wirkenden Schlüssel, steckte ihn ins Schloss, stellte fest, dass er passte, und verschloss die Tür hinter ihnen.
    »Wäre interessant zu wissen, wofür die anderen Schlüssel sind«, bemerkte Daniel.
    Lucas klimperte damit – die meisten waren altmodische Allzweckschlüssel, einige modern. »Das müssen wir ihn fragen. Aber nicht auf die nette Tour.«

FÜNF
    Sie brachten den verängstigten Scrape aufs Polizeirevier, fotografierten ihn, nahmen seine Fingerabdrücke, versahen sein Messer mit einem Schildchen und setzten ihn an Sloans Schreibtisch, wo Sloan ihn zu bearbeiten begann. Hanson übte als Bad Cop Druck auf Scrape aus. Lucas, Daniel und zwei weitere Polizisten beobachteten alles.
    Scrape wirkte verstört. Als Sloan ihn nach den Mädchen fragte, behauptete er, nicht zu wissen, was er meine. Er las keine Zeitungen, sah nicht fern und hörte auch nicht Radio. Als Sloan ihm die Sache mit den Mädchen erklärte, wurde er wütend und drehte sich so auf seinem Stuhl herum, dass er allen ins Gesicht schauen konnte, einem nach dem anderen, als suchte er nach einem Verbündeten.
    »Ich würde nie solche Mädchen anrühren«, beteuerte er. »Ich lass die Finger von anständigen Mädchen. Da können Sie jeden fragen.«
    »Aber Sie mögen doch Frauen, oder? Sie sind nicht schwul«, erkundigte sich Sloan und beugte sich zu ihm vor.
    »Natürlich bin ich nicht schwul. Ich hab Probleme.« Er beschrieb mit dem Zeigefinger einen Kreis um seine Schläfe.

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