Zorn
»Die Tabletten helfen nicht. Ich bin nicht schwul. Ich hab damit nicht so oft zu tun.«
»Womit?«
»Na ja, mit Mädchen«, antwortete Scrape.
»Wann war das letzte Mal?«
Scrape rutschte auf seinem Stuhl vor, den Blick auf die Beamten gerichtet. Schließlich sagte er: »Da war diese Frau unten am Fluss …«
Als er stockte, fragte Sloan mit leiser Stimme: »Wo genau? In der Nähe von Ihrem Baumhaus?«
Scrape wirkte einen Moment lang verwirrt und schnaubte dann, als hätte er gerade etwas Witziges gehört. »Nicht der Fluss hier. Der in LA. Die TVR hat mich verjagt.«
»Was ist die TVR?«, erkundigte sich Hanson. »Ein Fernsehsender?«
Scrape neigte den Kopf zur Seite. »Was für ein Fernsehsender?«
»Sie sagen, Sie wären von der TVR verjagt worden. Was ist die TVR?«, hakte Hanson nach.
»Das weiß doch jedes Kind«, antwortete Scrape ein wenig überheblich. »Die Toonerville Rifa. Üble Kerle, Mann. Vor denen hab ich mich lieber verkrümelt.«
Sie reimten sich zusammen, dass er eine Straßengang in Los Angeles meinte und am Mississippi nie auch nur in die Nähe einer Frau gekommen war.
»Sie haben sich also von der Gang einschüchtern lassen«, stellte Hanson verächtlich fest. »Sind Sie ein Feigling? Ein Angsthase?«
»Ich habe einfach nicht genug Kraft«, verteidigte sich Scrape. »Und der Typ war richtig groß. Von Größeren lass ich die Finger.«
»Leute haben Sie schreien und kreischen hören unten bei Ihrer Kiste«, sagte Hanson. »Haben Sie die Mädchen angebrüllt? Haben Sie sie da versteckt?«
»Ich hab keine Mädchen versteckt. An einem schlechten Tag kann’s schon mal vorkommen, dass ich rumbrülle. Die treiben mich in die Enge, und ich versuch, mich dagegen zu wehren, aber manchmal schaff ich das nicht. Es muss irgendwo raus …«
»Wer treibt Sie in die Enge?«, hakte Hanson nach. »Die Mädchen?«
»Ich kenn keine Mädchen«, wiederholte Scrape mit verzogenem Gesicht, wobei seine gelben Zähne zum Vorschein kamen.
Scrapes psychische Erkrankung erschwerte die Befragung, weil er unvermittelt andere Gedanken einflocht: »Die Cops werden mich umbringen.« Er behauptete, an Orten gewesen zu sein, an denen er sich nicht aufgehalten haben konnte, zum Beispiel am Morgen in Los Angeles, und mit Menschen gesprochen zu haben, denen er nicht begegnet sein konnte – Michael J. Fox oder Harrison Ford. Als Sloan ihn darauf hinwies, dass diese Gespräche seiner Phantasie entsprungen sein mussten, brachte das Scrape noch mehr durcheinander.
»Aber ich hab doch heute Morgen mit Harrison geredet. Vielleicht auch gestern. Er wollte …« Er schwieg kurz. »Er wollte mit Freunden vorbeikommen, Bier mitbringen.«
»Harrison Ford, der Filmstar«, sagte Sloan.
»Ja, der ist ein guter Freund von mir. Manchmal leiht er mir Geld.«
Scrape reagierte verständnislos auf logische Unstimmigkeiten in seinen Aussagen, und es verwirrte ihn, dass er sich in Minneapolis aufhielt, nicht in Los Angeles, obwohl ihm in anderen Momenten völlig klar war, dass er sich in Minneapolis befand.
Sie legten ihm die Pornofotos vor, die sie aus seinen Kartons am Fluss geholt hatten. Er wandte verlegen den Blick ab. »Nicht meine. Nein. Die gehören jemand anders«, beteuerte er.
»Wir haben sie in Ihren Kisten gefunden«, teilte Sloan ihm mit. »Unten am Fluss.«
»Nein, das ist nicht wahr«, widersprach Scrape.
»Doch«, beharrte Sloan.
»Wo soll ich die herhaben?«, fragte er. »Hätte ich die vielleicht bestellen und zu mir nach Hause liefern lassen sollen? Soll ich für so was gutes Geld ausgeben, wenn ich nichts zu beißen habe? Wo soll ich die Scheiße herhaben?« Dann sagte er plötzlich etwas, das Sinn ergab: »Hey, wenn die von mir wären, müssten doch meine Fingerabdrücke drauf sein, oder?«
»Möglich«, pflichtete Sloan ihm bei.
»Ja«, beharrte Scrape. »Ich hab keine Handschuhe. Schauen Sie sich die Bilder an, da sind keine Fingerabdrücke von mir drauf. Überprüfen Sie das ruhig.«
»Das werden wir«, versprach Sloan.
»Das ist der Beweis«, sagte Scrape. »Keine Fingerabdrücke.«
Sloan gab sich rücksichtsvoll, nachsichtig und sanft und bot Scrape Zigaretten, Cola und Kaffee an. Hanson hingegen war grob, fordernd und skeptisch. Gemeinsam nahmen sie alles auseinander, was Scrape sagte, bis auf drei Dinge, bei denen er blieb: Die Pornofotos hatte er nie gesehen, genauso wenig wie die Mädchen, und er war mit Harrison Ford befreundet.
Er kannte die Mädchen nicht, war ihnen nie begegnet.
Vor
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