Zorn

Eine Cracksüchtige war nicht gerade die beste Zeugin.
    »Nein, nur ein bisschen Gras.«
    »Wenn du mich verarschst …«
    »Tu ich nicht, ich schwör’s.«
    »Sieh zu, dass du aus der South Side verschwindest. Egal, wohin. Nach Norden oder rüber nach St. Paul. Ich will dich hier nicht mehr sehen.«
    »Wird gemacht«, sagte Randy und hielt ihm seine Hände mit den Handschellen hin. Lucas schob ihn ins Licht einer Straßenlaterne und öffnete sie. Randy rieb sich die Handgelenke, wich einen Schritt zurück und gab Fersengeld. Lucas schrieb »Delia White« und »L. Ron Parker« in sein Notizbuch, machte einen Kreis um die Namen und zeichnete einen Pfeil zu »Ronald Rice«.
    In sicherer Entfernung drehte Randy sich noch einmal um und kreischte: » Du Mistkerl! «
    Als Lucas Dels Truck die Straße herannahen sah, trat er an den Gehsteigrand. Kurz darauf war Randy verschwunden.
    Lucas kletterte in den Truck.
    »Was war denn da los?«, fragte Del.
    »Ich hab mich mit einem kleinen Arschloch unterhalten, das ich schon lange loswerden wollte«, antwortete Lucas.
    »Und, hast du’s geschafft?«
    »Wahrscheinlich nicht. Hast du was?«
    »Ja, einen Ausschlag. Wahrscheinlich sitzt mein Slip zu eng.«
    Um elf Uhr fuhren sie zurück zum Fluss und unterhielten sich dabei über Autos.
    Del gestand, dass sein Herz beim Anblick eines jeden Camaro IROC-Z ein wenig schneller schlug. »Von null auf sechzig in sieben Sekunden, kostet dreizehn Riesen.«
    »An der Uni haben wir Loser-Mobil dazu gesagt«, teilte Lucas ihm mit.
    »Was?«
    »Loser-Mobil. Wenn du dir eins zulegst, musst du dir einen Irokesenschnitt machen lassen.«
    »Du hast meinen Traum zerstört«, jammerte Del.
    »Ich träume eher von einem Porsche«, sagte Lucas. »Der frisst deinen IROC-Z.«
    »Und dein Gehalt der nächsten zehn Jahre«, fügte Del hinzu und deutete nach rechts. »Smith ist ungefähr drei Blocks von hier umgebracht worden.«
    Lucas runzelte die Stirn. »Da drüben?«
    »Ja.«
    »Lass uns hinfahren.«
    »Es ist dunkel, Mann«, wandte Del ein. »Da gibt es nichts zu sehen.«
    »Ich will trotzdem hin«, beharrte Lucas. »Dauert keine zwei Minuten, oder?«
    Del bog achselzuckend in die nächste Straße, dann um den Block und nach links, fuhr vier Blocks weiter und wieder nach rechts und schließlich noch einmal nach rechts in eine Gasse. Das Licht der Scheinwerfer erhellte die Seitenwand einer Garage und eine Hecke daneben. »Da ist es. Vermutlich wurde er beim Garagentor erstochen und in die Hecke daneben geworfen.«
    »Die Leute von der Müllabfuhr haben ihn heute Morgen um sechs gefunden, und die Gerichtsmedizin sagt, er wär schon eine ganze Weile tot, aber mit hundertprozentiger Sicherheit lässt sich das nicht feststellen, weil’s so heiß war.«
    »Genau.«
    »Und er wurde mit einem langen Messer mit schwerer Klinge erstochen«, fügte Lucas hinzu.
    »Worauf willst du hinaus?«
    »Wir sind zu Fuß ungefähr fünf Minuten vom Haus der Familie Jones weg, deren Mädchen verschwunden sind. Wir haben einen Hinweis auf den Mörder …«
    »Der Penner mit dem Basketball. Crank oder so ähnlich.«
    »Scrape. Wir haben ein langes Messer bei ihm gefunden. Ein Fleischermesser.«
    Del sah ihn in dem trüben Licht an. »O Mann.« Schweigen, dann: »Irgendein Arschloch hat diesen Smith wegen Crack im Wert von sechs Dollar umgebracht.«
    »Wahrscheinlich«, erwiderte Lucas. »Aber wir sollten weiter überlegen. Ein Typ wird mit einem Fleischermesser erstochen, und bei einem Verrückten, der in einem Entführungs- und Mordfall in derselben Gegend zu genau derselben Zeit verdächtig ist, wird ein Fleischermesser sichergestellt. Wahrscheinlich ein Zufall, aber genauer ansehen sollte man sich die Sache trotzdem. Oder?«
    »Das wird eine Menge Staub aufwirbeln«, stellte Del fest. »Wir müssen mit jemandem reden.«
    Lucas holte sein Notizbuch heraus. »Ich habe Daniels Privatnummer. Wenn wir hier irgendwo ein öffentliches Telefon finden, rufe ich ihn an.«
    »Du bist mutiger als ich«, sagte Del. »Aber ich kenne die Standorte von allen verdammten Münztelefonen in Minneapolis, und an der hinteren Wand des Ugly Stick gibt’s eines. Das ist zwei Minuten von hier weg.«
    »Hast du fünfundzwanzig Cent?«, fragte Lucas.
    Daniel nahm seiner Frau den Hörer aus der Hand. »Davenport … Verdammt, es ist fast Mitternacht. Warum hab ich Ihnen bloß diese Nummer gegeben? Ich brauch meinen Schlaf.«
    Lucas und Del befanden sich im Hinterzimmer des Ugly Stick, eines