Zornesblind
Rente zu gehen.« Nach einem kurzen Blick von Striker zu Felicia fuhr die Ärztin fort: »Ich bin nicht Psychiater geworden, weil mich dieses medizinische Fachgebiet besonders interessiert«, räumte sie offen ein. »Ich wollte eine Menge Geld verdienen, jung aufhören und das Leben genießen.«
»Und trotzdem arbeiten Sie für EvenHealth«, betonte Striker.
»Ja«, meinte sie freimütig, als hätte das eine mit dem anderen nichts zu tun.
Er wiegte nachdenklich den Kopf. »EvenHealth wird mit staatlichen Mitteln unterstützt, und Dr. Ostermann hat sich den Ruf erworben, dass er den Ärmsten der Armen hilft. Ich bin sicher, da bekommen Sie nicht mal annähernd, was private Kassen zahlen würden – besonders in dieser Gegend.«
»Stimmt«, gab Richter zurück. »Ich arbeite auch nicht wegen des Honorars für EvenHealth, sondern um Erfahrungen zu sammeln. Dr. Ostermann hat einen ausgezeichneten Ruf. Mich interessierte sein Programm. Ich habe vor, in New York mein eigenes Programm zu starten und Ärzte für mich arbeiten zu lassen. Damit kann man richtig Geld verdienen.«
Striker fand die Frau interessant. Ehrlich und brutal offen. Die Dame hatte einen gewissen Charme. Er blätterte durch die Seiten seines Notizbuchs, bis er das Gesuchte fand.
»Sie haben einigen Patienten Medikamente verordnet«, begann er. »Es waren die gleichen Medikamente in exakt derselben Dosierung.« Er zeigte ihr den Eintrag. »Nahmen diese Patienten am EvenHealth-Programm teil?«
»Ja. Sie besuchten die SILC -Sitzungen. Die Gruppensitzungen. Für soziale Selbstbestimmung und Lebensbewältigung.« Sie lächelte. »Das ist eins von Dr. Ostermanns Zehnstufenprogrammen. Es ist primär für bipolare Patienten, in den meisten Fällen jedenfalls. Einige der Patienten leiden auch an Angststörungen. Diese Patienten bekommen für gewöhnlich Lexapro und Effexor verordnet. Beide Medikamente sind sehr effektiv und zeigen, vor allem in Kombination genommen, besonders gute Therapieerfolge. Genaueres müsste ich allerdings in meinen Akten nachsehen.«
»Sie haben Ihre eigenen Rezepte nicht im Kopf?«, fragte Striker.
Dr. Richter lachte belustigt auf. »Detective, soll das ein Scherz sein? Neben meiner Arbeit für EvenHealth habe ich im vergangenen Jahr über siebenhundert Patienten behandelt. Jeder bekommt im Schnitt zehn verschiedene Medikamente. Das sind um die siebentausend Verordnungen. Meinen Sie ernsthaft, die hätte ich alle im Kopf?«
»Hört sich nach Massenabfertigung an.«
»Und bringt viel Geld«, sagte sie entwaffnend. »Ich sagte bereits, dass ich mir diesen Beruf ausgesucht habe, weil ich viel Geld verdienen will. Satte, dicke Honorare. Mit vierzig will ich es mir an einem Strand in Jamaika gut gehen lassen.«
Striker überging diese Bemerkung. »Mich interessieren weniger die Verordnungen als vielmehr die Patienten Mandy Gill, Sarah Rose und Larisa Logan.«
Dr. Richter schwieg eine lange Weile unbehaglich. Ihre Augen nahmen einen abwesenden Ausdruck an, ihre Miene blieb unbewegt. Sie sah mit einem Mal älter aus. Abgebrühter.
»Ich erinnere mich dunkel«, räumte sie schließlich ein. »Und müsste mich erst in die jeweiligen Akten einlesen. Vergessen Sie nicht, ich hab Dr. Ostermann lediglich vertreten, wenn er unabkömmlich war.«
»Was sagt Ihnen der Name Larisa Logan?«, drängte er.
Die Ärztin fertigte ihn mit einem kalten Blick ab. Dann antwortete sie: »Larisa Logan … hm … tja, das sagt mir etwas. Sie war bei der Opferhilfe tätig, nicht?«
»Stimmt«, bestätigte Striker. »Ihre Familie starb bei einem Autounfall. Daran zerbrach sie wohl psychisch.«
»Ja, ich erinnere mich an Larisa Logan. Eine sehr nette und freundliche Person. Sie tat mir leid.«
Striker bezweifelte das zwar, sagte jedoch nichts.
»Larisa ist verschwunden«, unterbrach Felicia. »Und wir versuchen verzweifelt, sie zu finden – nicht in einer Strafsache, sondern zu ihrer eigenen Sicherheit.«
Die Miene der Ärztin nahm einen verständnislosen Ausdruck an. »Und weswegen kommen Sie jetzt zu mir?«
»Ist sie denn nicht Ihre Patientin?«, fragte Striker etwas verdutzt.
»Nein, nein. Wie schon erwähnt, bin ich bei den SILC -Sitzungen immer bloß eingesprungen. Ich hatte nie private Sitzungen mit den Patienten – damit kann man kein Geld machen.«
»Und wer hat Larisa Logan behandelt?«, hakte Felicia nach.
»Dr. Ostermann natürlich.«
Striker straffte sich in seinem Sessel. »Ich darf das noch einmal klarstellen, ja? Abgesehen von
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