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Zornesblind

Zornesblind

Titel: Zornesblind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Slater
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vergammelte Essensreste, Berge von Zeitungen und unbezahlten Rechnungen.
    Mental zog Striker den Vergleich. Dabei fiel ihm auf, dass in Sarahs Wohnung zwar alles Mögliche herumlag, aber keine Post. Nichts, null.
    Er schaute sich genauer um, öffnete Schubfächer und Schranktüren. Auf dem obersten Regal über dem Kühlschrank fand er schließlich einen schmalen Organizer. Er nahm ihn herunter und blätterte durch die Seiten.
    In dem Ringbuch waren Rechnungen abgeheftet, alle mit rotem Stift als bezahlt abgezeichnet. Strom- und Telefonrechnungen sowie Abrechnungen von Visa und MasterCard. Im Rückendeckel gab es ein Fach für Kontoauszüge, eins für Versicherungspolicen und eins für andere Belege.
    Striker registrierte spontan, dass die Rechnungen mindestens sechs Monate alt waren, die älteste sogar zwei Jahre. Die neueste war von der Telefongesellschaft und im Juli letzten Jahres bezahlt worden. Das war alles an Post.
    »Halt die Augen offen, womöglich gibt es einen separaten Postordner«, sagte er. Felicia nickte und sah sich in den anderen Zimmern um.
    Nach längerer, erfolgloser Suche in der Küche legte Striker das Ringbuch wieder auf den Schrank. »Hast du irgendwas Aufschlussreiches entdeckt?«, erkundigte er sich bei seiner Kollegin, die inzwischen eine Liste der Medikamente erstellte.
    »Nein.« Sie blickte auf. »Vielleicht hat sie ihre Post weggeworfen.«
    »Nein, die hat nichts weggeworfen. Das siehst du an den Rechnungen. Alles pingelig geordnet.«
    »Also, der Bekannte, mit dem ich vorhin sprach, meinte, dass sie erst vor zwei Monaten hier eingezogen ist. Vielleicht hatte sie sich noch nicht umgemeldet. Deswegen sollten wir uns bestimmt keine grauen Haare wachsen lassen.«
    »Doch«, versetzte er. »Es geht um mehr als die fehlende Post – das ist ein Bruch mit ihren Tagesroutinen. Wenn man bedenkt, dass sie vorher alles akribisch aufhob, ist das schon auffällig.«
    Felicia nickte schweigend. Ihr Kollege zog frische Latexhandschuhe über und kehrte zu der Toten zurück.
    Sie mutete selbst im Tod traurig und deprimiert an, ihr langes Haar fächerte sich strohig blond um das wächsern-blasse Gesicht. Ihre Lippen waren leicht geöffnet, Falten waren in ihre Stirn gegraben. Striker richtete den Strahl der Taschenlampe auf ihre Augen. Ihre milchig blaue Iris blickte leer, die starren Pupillen schienen durch ihn hindurchzusehen, verloren, vorwurfsvoll, weil er zu spät gekommen war und sie nicht mehr retten konnte.
    Er sah weg. Brauchte einen Moment, um seine Gedanken zu sortieren. Er versuchte, Sarah Rose nicht als Person zu sehen, sondern als eine weitere Tote. Eine weitere Tote in diesem Scheißspiel.
    Es funktionierte nicht. Seit Mandys Tod ging ihm der Fall mächtig an die Nieren. Das waren nicht bloß Todesfälle, das waren arme, verlorene Existenzen. Diese Tatsache konnte er nicht einfach verdrängen.
    Um sich von seinen deprimierenden Gedanken abzulenken, stürzte er sich erneut in die Ermittlungen. Auf der Suche nach brauchbaren Indizien leuchtete er mit der Taschenlampe über ihren Körper. Ihre weiße Bluse spannte über Brüsten und Bauch, die Knöpfe drohten förmlich abzuplatzen. Der Körper war unnatürlich aufgedunsen. Genau wie das Gesicht und die Finger, an denen die Ringe drei Nummern zu klein schienen. Der an ihrem Ringfinger saß so eng, dass das Gold ins Fleisch schnitt.
    Nachdem Striker den Goldreif bemerkt hatte, meinte er zu Felicia: »Hast du unterwegs alles über sie abgerufen?«
    »Logo«, versetzte Felicia leicht beleidigt. Recherche war immer der undankbare Job des Beifahrers.
    »War sie verheiratet?«
    Felicia nickte. »Ja, laut PRIME war sie verheiratet. Vor zig Jahren. Mit einem Jerry Soundso. Die Details weiß ich nicht mehr, aber er starb an einer Überdosis. Wenn wir wieder im Wagen sind, informier ich mich genauer.«
    Striker warf noch einen Blick auf den Ringfinger der Toten. »Schätze, sie hing sehr an ihrem Mann.«
    Er streifte mit einem behandschuhten Finger den Blusenkragen beiseite, enthüllte Nacken und oberes Sternum. Mithilfe der Taschenlampe inspizierte er ihre Haut. Auf der rechten Seite war nichts Auffälliges, nur blasse, aufgedunsene Haut. Auf der linken Seite entdeckte er jedoch eine winzige rote Stelle.
    Eine Einstichstelle?
    Angesichts des Verwesungsgrades war das schwer zu sagen, aber die Stelle war fast identisch mit der bei Mandy Gill – lateral zur Nackenbasis, über dem ersten Rippenbogen.
    Striker klappte sein Notizbuch auf und machte eine

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